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Seite 872 Neikage der Münchner
Gräbern der Vergangenheit Tote zu ehren und ihre Andenken vor der Schändung der Naiv-Tölpelhaften wie der Frechen zu hüten. — Genug und übergenug! Den Monisten zum Schluß ein Wort ihres von ihnen so gern zitierten Goethe zur Neberlegnng:
-Nur strebe nicht nach höhcrn Orden:
Denn bi st du er st ein Mensch geworden, Dann ist es völlig aus mit dir!
Ising. Hugo Eick.
Rilkes „Neue Gedichte"
Seit geraumer Zeit hatte R. M. Rilke, einer un,crer feinfühligsten Lyriker, sich in fruchtbares Schweigen gehüllt, aus dem er nur durch kleine Talentproben hervortrat, die wie Meilensteine eines neuen Weges erschienen. Nun schüttet er den schweigsam gesammelten Reichtum seiner Wanderschaft in „Neuen Gedichten"*) vor uns aus.
Um die Bedeutung dieser Sammlung zu würdigen, müssen wir auf die letzten Phasen seiner Entwicklung einen Blick zurückwersen. Seine letzten Veröffentlichungen waren die Monographien über Worpswede und Auguste Rodin (1903), „Das Stundcnbuch" (1905) und die erweiterte Neuauflage vom „Buch der Bilder" (1906) mit Zusätzen aus den Jahren 1903—1906. Chronologisch ist das Stundenbuch, das in drei Abschnitten (1899, 1901, 1903) mit je zweijähriger Pause entstand, das älteste der drei Werke. Hier zieht Rilke die letzten Kon- seguenzen seiner mönchisch-wcltflüchtigen Lcbensanschau- ung; hier sucht er in mystischer Vertiefung in das Nr» eine den festen Punkt, von dem aus er die Welt aus den Angeln heben kann. Weiter konnte er in seiner Abkehr von der Zeitlichkeit nicht dringen; er mußte sich der Welt und dem Leben wieder zuwenden, wie es die Nachträge zum „Buch der Bilder" und mehr noch die Monographien über die Worpsweder Maler und den Bildhauer Nodin zeigen. Hier versucht er cs zum ersten Male mit Glück, über die Schranken der eigenen Individualität hinauszugehen und sich in andere, freilich verwandte Naturen einzufnhlen. „Er hat mich alles gelehrt, was ich noch nicht wußte," schreibt er von dem greisen Rodin. Weniger glücklich waren die Anregungen, die ihm Rodins Lieblingsdichter, Baudelaire, gab, dessen schmerzhaft krassen Realismus er in seinem „Buch der Bilder" („Die Stimmen") nachzuahmen suchte.
Die „Neuen Gedichte" zeigen ihn zum ersten Male lyrisch selbständig auf dem neuen Wege: die Außenwelt mit seinem durch mystische Weltabkehr vergeistigten Ich zu durchdringen. Sehr bezeichnend ist hiefür das letzte Gedicht der neuen Sammlung, das sozusagen deren letztes Wort ist. Es heißt „Die Roscnschale" und endet nach der Schilderung einer Schale voll mannigfach gefärbter und geformter Rosen wie folgt:
Und sind nicht alle so: nur sich enthaltend,
Wenn Sich-Enthalten heißt, die Welt da
draußen
Und Wind und Regen und Geduld des Frühlings
Und Schuld und Unruh und vermummtes Schicksal
*) Erschienen im Lnscl-Bcrtag ui Leipzig in schlicht-vornehmer NurflatMng.
Neueste« Nachrichte»
Und Dunkelheit der abendlichen Erde,
Bis auf der Wolken Wandel, Flucht und Anflug, Bis auf den vagen Einfluß ferner Sterne In eine Handvoll Jnnres zu ver-
wandeln.
Die Gedichtsammlung hält zum guten Teil, was dies Programm will. Eine für den „Einsamen" erstaun- liche Bereicherung des Stoffgebietes führt uns von indischen Buddhatempeln zu flandrischen Kathedralen, antiken Hctärcngräbern und Versailler Staatstreppen, zu alt- und neutcstamentlichen Vorgängen wie in de» griechischen Hades, in die italienische Renaissance wie zu den Impressionen der modernen Weltstadt Paris, durch alle Völker und Zeiten. Und fast jedesmal ist eS wie bei den Tanagrafiguren, von denen der Dichter sagt:
Ein wenig gebrannter Erde
Als wäre die Gebärde
Einer Mädchenhand
Auf einmal nicht mehr vergangen;
Ohne nach etwas zu langen.
Zu keinem Dinge hin Aus ihrem Gefühle führend,
Nur an sich selber rührend,
Wie eine Hand ans Kinn ...
Innere Geschlossenheit, keine Wirkung aus sich heraus, wie bei den besten griechischen Bildwerken, und dabei ewige symbolische Bedeutung — ein klassisches Kunstprinzip! Und man muß zu Rilkes Ehre sagen, daß ihm dessen Erfüllung meist gelungen ist. Freilich bedingt dieses Kunstprinzip eine gewisse abweisende Strenge, wie sie Winckelmann als Kriterium der archaischen Athena Polias empfand, die, wie er sagt, „den Pöbel beleidigt". Und gerade Rilke mag diese strenge Beschränkung, dies Verzichten auf die zahlreichen klangvollen Register seines früheren Lyrismus hart angekommen sein, wie es nicht selten eine Sprödigkeit, ja Gequältheit des Ausdrucks verrät. Umsomehr Achtung verdient es, daß er sich in Neuem versucht, statt Ge- konntes, das Anklang gefunden hat, abzuschreiben und so zur Manier herabzusinken. Wie bescheiden und doch hoffnungsvoll er über sein eigenes starkes Talent denkt, verrät ein „Selbstbildnis aus dem Jahre 1906", das wir hier finden und das selbst im Persönlichsten die Ruhe und Abgerücktheit des bewußten Künstlers ver- rät.
Des alten lange adligen Geschlechtes Feststehendes im Augenbogenbau,
Im Bkickc noch der Kindheit Angst und Blau Und Demut da und dort, nicht eines Knechtes, Doch eines Dienenden und einer Frau ...
Der Mund als Mund gemacht, groß und genau, Nicht überredend, aber ein Gerechtes Aussagend ...
Das als Zusammenhang nur erst geahnt,
Noch nie im Leiden oder im Gelingen Zusammgefaßt zu dauerndem Durchoringen,
Doch so, als wäre mit zerstreuten Dingen Von fern ein Ernstes, Wirkliches geplant.
Das ist derselbe, der in der Ahnengalerie vor den glänzenden Rokokodamen mit monumentaler Ruhe sagen kann:
..Sic wollten blühn,
Und blühn ist schön sein: doch wir wollen reisen. Und das heißt dunkel sein und sich bcmühn." >