Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten
Seite 371
3h. 118
Ein neues Buch von Wilhelm Bölsche?)
„Hinter dem Skorpion - - Homuncnlus - - Praktische Entwicklungslehre — Was heißt Monismus'? -- Plankton — In einer Steriicnnacht — Auf den Spuren der tropischen Eiszeit — Luftstadt — Wilhelm Busch — Friedrichshagen in der Literatur - Gerhart Hauptmann — Karl Haupimami — Das Rätsel im Frühling — Ein ernstes Wort — Unter meinem Birkenbaum" —
Ein Buch soll keine äußerlich ancinandergehestete Reihe von Aufsätzen sein, sondern eine Komposition von wohlgegliedertcr Tektonik und einheitlich verbundenem Grundgedanken. Daß obige an sich so verschiedene Kapitelüberschriften gleichwohl deir Anspruch auf eilte Buchfassung machen, darin spricht sich schon der besondere Charakter Wilhelm Bölsches nnd seiiter wissenschaftlich-künstlerischen Tendenz aus. Das Zu- sammensassende dieser teils naturwissenschaftlichen, teils philosophischen und ästhetischen, teils poetisch kontemplativen Betrachtungen möchte der Stil einer starken Persönlichkeit sein, die, indem sie sich knndgibi, den Leser ans den Standpunkt einer lebensvollen Welt-, anschauung zu heben sucht. Indem Bölschc, von einzelnen und bekannten Naturerscheinungen ausgehend, den Leser stufenweise in das -Heid) seltsamster und wundervollster Probleme hineinführt, leitet er ihn mit unaufdringlich freundlichem Ernst in das Gebiet jener Weltanschauung, die unter dem Nameit „Monismus" heute eine große Gemeinde Gebildeter vereinigt.
Was den Forscher und Biologen Bölsche betrifft, so bewundert man mit Recht nicht nur die Weite und Genauigkeit seiner sachlich uitd bescheiden vorgebrachteit Kenntnisse, sondern ebenso die fein dozierende Geschicklichkeit, mit der er an der Hand der einfachsten Bilder und Analogien seinen Stoff dem Laien zugänglich macht. Man verfolge, >vie er vom „Rätsel des Frühlings" zu den klimatischen Urtvandlungen der Erde und ihren kosmischen Ursachen gelangt (wobei es mir übrigens auffiel, daß Bölsche nichts von der sogenannten „Pendulations-Theorie" erwähnt — einer Theorie, welche die klimatischen Veränderungen nnd deren Folgen erklärt aus Schwankungen der Erde zwischen zwei äquatorialen Schwingpolen —■ Sumatra und Ecuador?) Ten Naturwissenschaftler Bölschc also in Ehren!
Was nun aber den poetisch-kosmisch-populären Bor- trag und seine zwischen Religion, Aeslhetik, Wissenschaft und Naturstimmung schwankende Persönlichkeit anlangt, so muß ich gestehen, daß inir diese Mischung gegen die Natur ist! Diese wohldurchwärmten dichteri- scheu Hochgefühle, die mit „Enzianduft!" beginnen und mit Goethes Iphigenie schließen; diese so human-gebildete, Faust- und Goethe-zitierende, pantheistisch-nio- nistische Erhabenheit: sie ist doch nichts weiter als jener von Nietzsche bekämpfte Straußischc „Bildungs- Philister" — nur um eine Stufe gebildeter, raffinier- ter, nur schwerer durchschaubar nnd init der Zeit fort- geschritten. So sicher Bölsche ein überzeugter nnd
i) Wilhelm Bölsche: Auf dem Menschenstern. Vertag von Karl Meißner, Dresden.
Bergt. ProlÄor ^jcirtriiD Zimrettz: Tie Uendulalions-
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echter Mann ist und so sicher Tausende von Lesern seiner Art sich verwandt fühlen: ebenso sicher ist dieser festlich dainpfendc nnd wohltemperierte Stil der Feind alles wirklich Ringenden und Glühend-Lebendigen. Gerade die Höhe und Größe dieses Typus heischt die Schürfe des Angriffs. Tie Frucht solcher Mischung ist der Monismus, dein Bölsche auch ein besoilderes Kapitel widmet (natürlich mit dein unvermeidlichen Wort Goethes: „Was ivär' ein Gott, der nur von außen stieße!") Es fällt mir gar nicht ein, den Monismus zu bekämpfen. Im Gegenteil: Das ist alles schön und gut. Aber wenn diese Leme nur »mißten, »vie genügsam sie sind! Als wenn die ans dem Wissen einer Welt- Anschauung filtrierte Gemülserschütlerung (und lväre sie auch noch so ernst und erbauend) vergleichbar »väre den Erlebnissen metaphysischer Wesenstoelt — Erlebnissen einer Religion, die freilich uns so gut »vie verloren gegangen sind! Als wenn unsere „pantheisti- schen" Affekte, unsere noch so erschauernde Bewunde- rung der Naturerscheinungen dem Wesen nach auch nur auf die unterste Stufe dessen zu stellen sei, was einst in kosmogoni scheu Bildern uitd Göttergestalten lebendig war! Man scheint irichl zu tvissen, daß das, »vas die Naturwissenschaft „Biologie" nennt, nicht einmal das „Leben" und die Geschichte der Seele streift — einer Seele freilich, deren religiöse Organe im Zeit- alter des „Fortschritts" völlig abgestumpft sind. Daß uns nichts von den Erlebnissen gotterfüllter Ber» gangenhei» beschieden ist — das ist Sache des Schick- sals und für uns dunkel trauernde Sehnsucht. Jene Bildnngsreligion der Monisten ahnt nid)l einmal, wo überhaupt die Gegend der Religion liegt. Mögen sie immerhin ihren Frieden »md die Begeisterung ihrer Wahrhcitsforschnng genießen — und »vir »vollen ihnen »vahrlich nicht die Echtheit ihres Sirebens schinälern. Sie haben ja das Gluck gehabt, gegen Fanatisnius, Bosheit nnd Tummheit sich tapfer gehalten zu haben und gegen ihre Feinde im Recht gewesen zu sein. Doch daß sie die Ehrlicheren und Kühneren sind, verhindert nicht, daß auch ihre Religion nichts ist als eine Bankrolterklärnng metaphysischen Lebens. Daß eine Naturwissenschaft und Wirklichkeitsknnde überhaupt den Versuch machen konnte, in die Sphäre niysti scheu Seelenlebens hineinzugreifen, das mag ein letztes Lächeln den fernen Göttern erregt habe»», die „wohl »venig bekümmert um uns" aus den entgötterten Erd- ball hcrabblickcn. — Bon welchen „Göttern" ich denn rede'? Von welcher alten Religion als der „eigentlichen" ich hier fabuliere'? so fragt »nan »vohl. Else ich hieraus Antwort gebe, müßte die Religionswissenschaft ihre historischen und psychologischen Grundfehler ein- gesehen haben: Sie müßte die Religion der Alten jd. h. einer von vielen Jahrtausenden als „lvirklich" erlebten Welt) ernst zu nehmen gelernt haben; sie dürfte aus der Unmöglichkeit cigeilcr gleichartiger Erlebnisse und heutiger Analogien nicht auf die Unlvirk- lichkeit damals lebendiger Seelenfähigkeiten schließen; sie müßte ettvas ahnen von einer Geschichte der Seele, voin Fluten n»»d Ebben seelischen Grnndstromes; sie müßte der Tatsache ins Auge blicken können, daß die Blütezeit des Geistes zugleich der Tiefstand mcta- Msijchen Lebens iir, mtd daß uns nur eins .bleibu an