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Nr. 118

Beilage der Münchner Neuesten Nachrichten

dings erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt. Der derzei­tige Kultusminister Don Rivas Groot, mit welchem ich oft zusammenzukommen Gelegenheit hatte, ist ein ebenso eifriger wie erfahrener Förderer des Schul- wesens. Davon zeugt beispielsweise die Einrichtung von Abendkursen für Arbeiter und Handwerker in über dreißig in der ganzen Hauptstadt verstreuten Lokalen. Diese erst seit Januar 1907 bestehenden Kurse zählten schon fünf Monate nach ihrer Eröffnung über 6000 Teilnehmer; gegenwärtig dürften im Lande überhaupt 30,000 Personen von dieser segensreichen Einrichtung Gebrauch machen. Eigenartig ist daoei die Einfüh­rung, daß zur Aneiferung alunonatlich an die besten und eifrigsten Schüler Anzüge als Prämien zur Ver» teilung konnnen. Bei der kühlen Lage von Bogota und der durch die hohen Zölle sehr verteuerten Bekleidungs­stücke, die größtenteils aus dem Auslande angeführt werden müssen, sind gerade solche Geschenke besonders geschätzt.

Die ebenfalls in einem ehemaligen Kloster, dem Colegio de San Bartolome, untcrgebrachte und erst 1867 gegründete Universität weist tiichtige Professoren und eine stattliche Besucherzahl von jungen Leuten auf. Die Lehrstühle umfassen Jurisprudenz, Philosophie und Literatur; der Lehrstuhl der Medizin ist init dem Hospi­tal San Juan de Dios verbunden. Naturwissenschaf­ten und die polytechnischen Fächer werden im frühe- ren Candelariakloster gelehrt. Wohl das älteste Gym- nasiuni des Landes ist das 1653 durch Erzbischof Cri- stian de Torres gegründete Colegio del Rosario. Die 1777 errichtete Nationalbibliothek ist im Laufe der Jahre durch verschiedene Zukäufe wesentlich erweitert worden. Zur Zeit ist sie jedoch ebenso wie das Mn- scum nur sehr ungenügend untergebracht. Es werden aber gegenwärtig neue Räume für sie gebaut, die bald ihrer "Bollendung entgegengehen.

Einen eigenartigen Eindruck machte das Theater auf mich, das ich einmal bei Gelegenheit einer Dilettanten. Aufführung sowie auch eines Konzertes von innen zu sehen bekam. Das Theater, 1793 erbaut, wurde An­fang der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts völlig umgebaut; jeder europäischen Hauptstadt würde es zur Zierde gereichen. Schade, daß seine Tore fast immer geschlossen bleiben! Ein eigenes Theaterensemble be­sitzt Bogota nicht, und bei der riesigen Entfernung, in welcher gerade diese südamerikanische Metropole von anderen Kunstzentrcn liegt, kann es nicht wunder­nehmen, wenn es äußerst schwer fällt, überhaupt eine auswärtige Truppe jemals zum Spielen dort zu ver­anlassen.

Da Bogota Sitz eines Erzbistums und einer päpst­lichen Delegation ist, erscheint es begreiflich, wenn die hohen Kirchenfeste dort mit besonderem Pomp began- gen werden. Ich war unmittelbar vor Beginn der Karwoche in Bogota eingetroffen und hatte deshalb Gelegenheit, vieles von den Kirchenfeierlichkeiten zu sehen. Insbesondere erinnere ich mich lebhaft des großen Karfreitagumznges; Muttergottesbilder und ändere Heilige wurden durch die Straßen getragen und die ganze Geistlichkeit sowie ein Teil der Honoratioren der Stadt, meist in der Gewandung von Brnderschaf- teNi zog mit. Eine Abtcilwtg Militär, die in der Pro­

vinz Cauca rekrutiert war und zahlreiche durch ihre Körpergröße auffallende Negergestaltcn zeigte, be- gleitete den Zug und stellte auch eines der Musikkorps. Am Gründonnerstag wurden, wie es ja auch in Süd- enropa allgemein Sitte ist, die Kirchen besucht, wobei in Bogota die Anzahl von mindestens sieben vorge- schricbcn ist. An diesem Tage hatte man Gelegenheit, die Bogolanerinnen, die sonst die Straßen gerne mei- den, auf den öffentlichen Wegen zn beobachten. Ihre Gewandung tvar sehr geschmackvoll; vielfach trugen sic die spanische Mantilla. Dazu zeichnete sich eine große Anzahl Frauen und Mädchen durch wahrhaft klassische Schönheit aus.

Eine wenig angenehnic Erscheinung ist das sehr häufige Läuten der Kirchenglocken in Bogota. Er­freulich ist ihr Klang nur, wenn es sich um die Glocken der Kathedrale llnd um einige wenige andere, gut ge­stimmte Geläute handelt.

Das diplomatische Korps ist in der kolumbianischen Hauptstadt zahlreich vertreten. Schon einige Tage nach meiner Ankunft hatte ich Gelegenheit, "mit den meisten Chefs der dortigen Missionen bekannt zu wer­den. Im Vordergründe des Interesses standen wäh­rend meines Aufenthaltes in Bogota ernstliche Unter- Handlungen ztvischen Brasilien und Kolumbien wegen Feststellung der beiderseitigen Landesgrenzen. Fast

S iei Jahrhunderte lang hatte die Angelegenheit ge­webt, ohne zu einem Resultate zu führen. Kurz vor meiner Abreise jedoch kamen durch einen Vergleichs­vertrag, der von der gesetzgebenden Versammlung be- stätigt wurde, die Verhandlungen endlich zum Abschluß. Das Land, um das man sich stritt, ist zwar zur Zeit ein völlig unbewohntes, im Bereiche einiger Neben- fliisse des Amazonenstromes gelegenes ungesundes Ge­biet, es hat aber Bedeutung durch seinen großen Reich­tum an wildem Kautschuk. Auf dieses Produkt scheint neuerdings, wie ich erfuhr, die brasilianische Regie- rung, wohl infolge des starken Rückganges von Kaffee, großen Wert zu legen. Das zeigt sich auch daran, daß sie darnach trachtete, das durch seinen enormen Reichtum an wildem Kautschuk sich auszeichnende Aeregebiet von Bolivien zu gewinnen, auf das es schon seit Jahren Ansprüche geltend machte. Gegen einen zu seiner Ausbeutung zwischen Bolivien und einem amerikanischen Konsortmm abgeschlossenen Vertrag protestierte Brasilien. Es befürchtete nicht mit Un- recht eine scharfe Konkurrenz der Amerikaner mit die­sem Produkte, anderseits sprach es ja, wie gesagt, das Gebiet selbst als Eigentum an. Schließlich gelang cs Brasilien, durch Zahlung von ich glaube einer Million Dollars den Vertrag mit den Amerikanern rückgängig zu machen und gleichzeitig das Gebiet zu annektieren. Dabei hat cs die Ausbeutung desselben sofort in die Hand genommen und fördert dort große Mengen von Kautschuk. Durch den oben angezogencn Vergleichs- vertrag mit Kolumbien nunmehr auch in den Besitz des in dessen äußerster Südostecke gelegenen Gebietes ge­langt, betrachtet Brasilien letzteres, wie ich aus guter Quelle weiß, als eine wertvolle Reserve, deren Aus­beutung nach Erschöpfung des Aeregebietes in Angriff genommen werden soll.