Joh. Christian Senckenberg.

Eine Erinnerung zu seinem 200. Geburtstage lW. Februar 1907).

Von Dr. Georg Avellis-Frankfurt a. M.

Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt," hat ein° ^ mal der alte Baron Rothschild gejagt. Gewiß, es macht lei von kleinen , Sorgen, und läßt die Möglichkeit zu. ,,ch nicht bloß mit den Dingen des nächsten Werkeltages und des täglichen Brotes zu beschäftigen. Geld kann aber viel mehr leisten,, wenn es in die Hände eines Mannes gelangt, der seinen idealen Wert, seine Kraft kennt, geistigen Arbeiten eine Werkstatt, ein gesichertes Heim und Werkzeuge zur Arbeit zu verschaffen.

Man denke zwei Männer aus der Vergangenheit Frankfurts gestrichen: StädeI und Senckenberg: was wäre das heutige Frankfurt ohne deren segensreiche Stiftungen! Eine große Stadt mit reichen Leuten, Fabriken, Arbeitern und schr schönen Ueberbleibseln mittelalterlicher und späterer Baukunst, mit Börse, Oper und Mainschiffahrt, aber ohne einen Anspruch, im Friedenskonzert der geistigen und künstlerischen Welt eine gewichtige Stimme führen zu dürfen.

Reiche Leute gab es und gibt es noch viele in Frank­furt, aber keinen weiteren bis jetzt, der seine Vaterstadt ,o geliebt hat wie diese beide: Stichel und Senckenberg, die ihre göttliche Bestimmung und ihre Lebensaufgabe darin gesehen haben, dem derben, vorerst auf Erwerb und Genuß gerichteten Gesicht der alten Handelsstadt einen edleren geistigen Ausdruck zu geben, indem sie der Malkunst und der Naturwissenschaft für ihre und alle künftigen Zeiten eine Schaustätte für das Volk und eine Arbeitsstätte für die Gelehrten und Künstler erschaffen haben.

In diesen Tagen, am 23. Februar, können wir den 200. Geburtstag Joh. Christian Senckenbergs feiern. Es wird keine große, geräuschvolle Volksseier werden, keine Sängerfejtstimmung und keine girlandenstolze Straßendeklamation. Der Ort der Wissenschaft, wo die Bücherreihen die vornehmste Gesellschaft bilden, wird der Schauplatz der Feier sein. Aus diesem Gedanken her­aus hat die Verwaltung der Stiftung S e n ck e n - bergs beschloffen, die neue Bibliothek an der Viktoria- Allee an dem 28. Februar einzuweihen, dieselbe Bücherei, deren Grundstock Senckenbergs eigene Bücher- sammlung bildet. In den nenerbauten stillen Hallen dieser an über 100,000 Bänden reichen naturwissenschaft­lichen Bibliothek, die von jetzt ab frei zu jeder­manns Verfügung stehen wird und von deren Wänden die Porträts alter Frankfurter Aerzte: der Physici Primarii und neuer bedeutender Doktoren herabsehen, wird man sich des 2 8. F e b r u a r erinnern, der der Stadt einen Sohn gebar, zu dem

sich in zwei Iahrhuirderten nur ein Eben-

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bloß des, äußeren Lebensgangs des N ermnern, der seinen Willen durch die Jahr- tm städtischen Bilde lebendig und .I?t, sondern auch in die Tiefe zu jl e£ r e ü un k nachzufuhlen, wie ihn sich eine unerklärbare * schere t Prüfung und persönliches Schicksal Zurechtgeknetet hat, damit in ihm der Gedanke l geboren ward, der Vaterstadt eine naturwissen-

I?^«'^^^°^^dlzinlsche Akademie zu ver­schaffen. - 0

Tw S enckeiibergs sind keine alte Frankfurter Familie. Sern Großvater stammt aus Troppau und war spater m Friedberg in Hessen Apotheker; sein Vater war Arzt und Primarius der Stadt Frankfurt, d. h. al,o ein hervorragendes Mitglied des ärztlichen Kollegiums der Stabt. Er wohnte in der Hasengasse, nahe der Feil. Die Gasse selbst führt ihren Namen von den Hausernamen: Zu den Hasen. Es gab mehrere HauserZum Haasen", der Doktor Johann Hart­mann Senckenberg, der Vater des Stifters, kauftedie hintere Behausung zum Haasen" für 3100 Gulden. Bei dem großen Brande am 26. Juni 1719 war dieses Haus das letzte, welches auf dieser Seite der Hasengasse abbrannte. Es wurde vom Besitzer unter großen Opfern wieder aufgebaut, das alte Gitter­werk, über der gewölbten Haustüre, bas zwei gegen einander springende Hasen zierte, kam nicht mehr zur Verwendung: ln der Wetterfahne des Hauses Nr. 3 sind aber noch heute die Buchstaben ll. 8. 8. und die Jahreszahl 1721 zu lesen. Dieser Hausbrand war von großer Bedeutung für die ganze Familie, er zerstörte die Wohlhabenheit des alten Doktors und zwang ihn später, bei der Stabt um ein Stipendium für seinen Sohn Joh. Christian zum Zwecke des medizinischen Studiums nachzusuchen unter Berufung ans seine 28jährigen Dienste als Stadtarzt. Er bekam wohl bas Dr. Seiffartaiche Stipendium, doch war er nicht imstande, davon Gebrauch zu machen, da er die fehlende Zubuße fürs Studium nicht beizusteuern vermochte. So erkennen wir also, wie früh schon Geldknappheit und Engigkeit der Verhältnisse Senckenbergs Leben beein­flussen mutzte. Sechs Jahre mußte Senckenberg nach Ablegung seiner Reifeprüfung auf die Möglichkeit, zur Universität zu gehen, warten; in Frankfurt war keine Gelegenheit, sich ärztlich oder naturwissenschaftlich aus­zubilden, er privatisierte gezwungener Maßen. Liegt da nicht der erste Anstoß verborgen, der später in der Gründung einer Frankfurter medizinischen Lehrstätte zum Ausdruck gebracht werden sollte? Er verbrachte ein Jahr bei Dr. Reich in LaubaH, dann assistierte er seinem Vater in der Praxis und trieb Anatomie und Chirurgie bei den Stadtphysici Büttner und G r a m b und, schon 30 Jahre alt, gelang es ihm endlich, die Universität Halle zu besuchen. Auch dort blieben bald die Mittel zu weiterem Studium aus, so daß er nach iy 2 Jahren schon heimkehren mußte. Erst viel später erwarb er sich in der neugegründeten Universität Güttingen den akademischen Doktorgrad. Freilich hörte er nie auf, das Studium aus eigene Faust tort­zusetzen und ging, ungeleitet durch die zünftigen Lehrer, seine eigenen lege.

Er wurde ein gesuchter und tüchtiger Arzt, nicht bloß bei den Vornehmen, wie Goethe irrtümlich berichtet. Seine besonderen Kuren bestanden hauptsächlich tn Diät- Verordnungen und Wassertrinken. Er war em Anhänger jeder Mäßigkeit und ein Spötter der Aerzte. die mit einem Rezept die Sünden eines fehlerhaften Lebens

ausgleichen wollten.. . . _ , .. , ,

Anckenberg war ein Pedant und ein Sonderling, das erste van Natur, zum letzten vom Schicksal erzogen. Seine Mutter war eine ungewöhnlich mißratene, Frau, eine Hysterika, die dem Vater das Leben veroitter.e. schimpfte und tobte/ wie ein Fuhrmannswelb, .den Söhnen zum Ungehorsam.gegen den Vater selbst einen Stock in die Hand gab, .Mit dem der kleine Senckenberg seinem Vater aus Versehen ein Auge ausschlug Der Pa^e? war keine Kampfnatur und kannte Shakespearcs

Der Widerspenstigen Zähmung noch nicht, sonst hatte er die rohe Wut durch Uebertrumpsen zu heilen ver­sucht Es muß im elterlichen Hause stets Krieg.und Lärm geherrscht haben, preist, doch Senckenberg seinen ältesten Bruder glücklich, weil er schon im.Zweiten Lebensjahr zum Großvater nach Gießen kam und so der häuslichen Hölle entging. Auch unser Sen ckenberg war

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heimatlos sich zur Geltung bringen WM

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als Friedfertiger wandelte stets mit ihm.

Der Teufel reizt oft Menschen, um uns zu argnn, und wir können dann unsere Geduld eiproben.Wer die Welt verachtet gegen den Himmel, wer chr.untreu wird und Gott zufällt, den haßt die Welt und wird chm wieder untreu, das §ann nicht anders leui nach dem Gesetz der Gegensätze," schrieb er rn sein Tagebuch, als eine Marktfrau ihn aus offener Äasse ''^^derfreffer schalt, nachdem er das Unglück gehabt hatte, seine dritte Frau zu begraben.

Senckenbergs Waffe gegen die Schlage des Schicksals waren Resignation und innere Frömmigkeit. Er war dreimal verheiratet, zuerst mit einer reichen Juweliers- tochter Riese, einem Nachbarskind. Sie wollten eigentlich alle beide unverheiratet bleiben, aber äußere Einwirkung, nicht stürmisches eigenes Verlangen, brachte sie zur Ehe, der einzigen glücklichen Zeit, dre unser Senckenberg erlebte. Das Glück war von kurzer Dauer, Frau Senaenberg starb im Wochenbett und das. Kind bald darauf. Die bitter erkaufte Erbschaft begründete Senckenbergs späteres Vermögen. Zur zweiten Ehe mrt Jungfer Mettingh schritt er fast wider Willen, er fiirchtete ihre fremden Charaktereigenschaften.. Auchsie starb nach kurzer <He und vor ihr der kleine So dessen Bild hier noch im Stiftungsgebäude hängt, zeigt einen der schönsten Knaben, der noch je geboren wurde. Dann blieb Senckenberg viele Jahre unver­mählt. Am 8. Juli 1754 wagte er zum drittenmale zu heiraten: eine Witwe Rupprecht, deren Arzt er war. Obwohl sich Senckenberg selbst, sagte, er werde in der dritten Ehe kein Glück finden, ließ er sich doch von der reichen, kranken und verwöhnten Frau bewegen, die schöne Rolle des ärztlichen Beraters mit der traurigen eines schikanierten Gatten zu vertauschen. Schließlich war aber selbst seine Duldsamkeit zu Ende, nach schwerem inneren Kampfe trennte er sich von seiner Frau und ihrem Reichtum, behandelte sie aber als Arzt bis zu ihrem Tode, unbeirrt um das Geschrei der Welt und die Verleumdung der Dienstboten. Auf das ihm zufallende Vermögen verzichtete er, obwohl er schon seine Stiftung vorbereitete! Also wurde er mit 50 Jahren ein Einsamer! Alle seine Hoffnungen, ein persönliches Glück im Familienleben zu finden, waren grausam und definitiv gescheitert. Eine gütige Mutter hat er nie gekannt, seine drei Frauen und seine Kinder nahm ihm der Tod. Er aber wurde nicht klein­mütig und melancholisch, blieb fest im Glauben und ging lebhaft mit auffällig raschem Schritt und wohlgepflegt über sie Straße, die große Perücke schön frisiert, den Hut in der Hand, in Seidenstrümpfen und Schnallenschuhen, merkwürdig im Zickzack von einer Häuserseite zur andern schwankend; den Seelen seiner verstorbenen Patienten geschickt ausweichend, wie Goethe spöttisch schreibt. Stand um 5 Uhr früh auf, Sommer und Winter, und erstickte alten Kummer und den Schmerz der Einsamkeit mit unermüdlicher Arbeit! Seine Bruder waren aus­wärts, Juristen in angesehener Stellung in Wien und Wetzlar, die Kollegen oft übelwollend, lelbst nach Be­kanntgabe seiner Stiftung, sodaß er still resigniert 1764 ins Tagebuch schreibt:Der Gute muß sich genügen lassen, gut gehandelt zu haben und nicht danach fragen, ob,die Menschen dankbar sind ober nicht. Gäbe es in dieser Welt nichts, was uns über sie erhebt, so würde es am besten sein, sobald als möglich sein Leben zu be schließen."

Christus.und Sokrates waren seine Beispiele, sein Trpst und sern steter Hinweis: wie sie wollte er Feind­schaft und Verfolgung als Wohltäter der Menschheit er­tragen lernen. Lächelnd führt er in unbeirrter Ruhe Leben und Tagebuch weiter und schreibt in antikem Gleichmut auf: Wichtiges und Unerhebliches, schwer er­kämpfte Weisheit und lächerliche Kleinigkeit:Ein Glas Wern bei der Goethin im Weibenhof getrunken" sGoethes Großmutter!) vergißt er nicht zu notieren. Die freie Reichsstadt war die Stätte des unfreien Lebens, Patriziat, .Zunft, Messe und Wohlleben und vor allemdas Hiesige" im Gegensatz zu allem Fremden beherrschte die öffentliche Meinung und korsettierte die ängstlichen Menschen, bei denen Goethe nicht froh

werden konnte, dasAndere", das Besondere, war efcenl so unangenehm wie das Fremde. Leben und leben lasten, gutes Geschäft, Verteidigung der Gebräuche, große Messe, hoher Besuch, vornehme Gäste und keinerlei An­stoß, der alles bas beeinträchten könnte: das war me Reichsstadt. Daher der Haß gegen die drei Brüder Senckenberg,die drei Hasen", wie man sie später nach ihrem Geburtshaus nannte. Sie wollten nicht mrttun, sie waren Sektierer, gingen nicht zur Kirche und.zum Abendmähl und waren doch fromm; sie wollten lebet einen Stuhl für sich, nicht mitten in der Reche von den Gevattern, seien es Schöffen oder Medici. Senckenberg war eigentlich Separat!st, er haßte die äußerliche Kirche und die Pfaffenknechte und verachtete im stillen die Selbstgerechten, die mit äußerem Kirchendienst chr religiösss Bedürfnis befriedigten und mitleidig auf die Unkirchlichen herabsahen. Gleichermaßen aber erkannte, er die Schwächen der Sektierer und Pietisten, ihre lieber-, Hebung und Scheinheiligkeit, ihre falsche Erziehung ber> Kinder.Ein Kind der Verheißung" wurde, einem Pietisten geboren, er starb als Bruder Lüderlich, wie Senckenberg mit Befriedigung notiert. a Ste geben cm-j ander die Hand, nennen einander Bruder und exer­zieren, das Geld lieb habend, einen heiligen Geiz, halten viel aufs Lesen mystischer Bücher, reden leise allerlei, seufzen ach und oh! . . . Ich halte alles das, was zur Gewohnheit wird, für nichts, halte nichts aus heilige Gesten, Versammlungen und Bibellesen» auch auf das Lesen von Mystikern, die man leicht zu Gotzeu machen kann. Ich gehe zu Gott selbst, bete den an «mb bet-, herrliche ihn durch Worte und Handlungen." - Zeigt sich hier nicht der ganze deutsche Manu, lutherisch, nüchtern, kritisch, ehrlich vor sich selbst, fromm im Innern, ohne Geschrei und ohne Haß. gegen anders Denkende, wenig erbaut von der Art, wie Christi Lchre als einträgliches Handwerk von den Theologen genutzt wurde, fest in sich und mit den Lebren des Urchristen- tums verwachsen, ein klein-reichsstadtrscher, früher Tolstoi, dem die große, weite Welt Nicht vre! gilh und der, evangelisch-lutherisch bis in die Knochen, wohl zu­gibt, daß auch kacholische und jüdische Bürger ins Spital zugelassen werben aber niemals einer dieser Konfessionen zur Verwaltung Er war kein Freund von politischer und religiöserAufklärung" und konnte, selbst ein starker Spötter, Ironie und Spott nicht leiden. Als ihm Dr. med. C e r f den von Friedrich II. in Frankfurt festgehaltenen Voltaire vorstellen sollte,, da lehnte Senckenberg energisch ab, die Bekanntschaft eines solchen Narren" zu machen.Er ist ein gelehrter Narr, ich will nur mit weisen Leuten zu tun haben." Unser Senckenberg ist keine Problemnatur, er war ernAuf- rechter", ein einfacher, stolz bürgerlicher Mann, der den angebotenen Adel ablehnt und die Fungadeligen mit Vorliebe bespöttelt. Ein Bürger der Vaterstadt, ein reichsstädtischer Römer, dessen höchster Wunsch dahin ging, dem Vaterlande, das ihn mit Wohltaten gesegnet, eine große und fruchtbare Schenkung zu machen. Er wollte ein naturwissenschaftliches Museum, zu dem er selbst die Mineralien- und Petresaktensammlung, sowie die Bibliothek beibrachte einen botanischen Garten, ein zoologisches Kabinett, ein Theatrum anatomicum zum Zergliedern der Leichen und zur Ausbildung der Chirurgie, einen Fortbildungskurs für praktizierende Aerzte, Witwenverwrguna derselben, Anregung und Förderung von wissenschaftlichen Studien und zuletzt auch ein Spital, in dem ffür Frankfurt eine Neuheit!) ständig ein Arzt wohnen sollte. Ist dieser Plan nicht heute noch modern, ja, streben nicht die Absichten der Regierung und der Stadtverwaltung eben nach diesem selben Ziele: der medizinischen Akademie mit Anatomie, botanischem Garten, ärztlichen Kursen, naturwissenschaft­lichen Vorlesungen, Chemie und Physik, Zoologie und Entwicklungsgeschichte, Museum und Bibliothek und an- gestellten Professoren?

Senckenberg sah sehr richtig ein, daß der einseitig praktische Sinn der Frankfurter das Spital auch nach seinem Tode ausbauen und pflegen werde flonnte doch damals kein Bürger, nur Fremde ins Hospital zum Heiligen Geist ausgenommen werden!), daß aber die wissenschaftlichen Institute als anscheinend weniger wichtig aus Mangel an Unterstützung eingehen würden Deshalb betrieb er mit Eifer den Bau der Wissenschaft- lichen Institute. Das Türmchen auf dem Neubau am Eschenheimer Tor war eben fertig, als Senckenberg an einem schönen Sonntag Nachmittag Hinaufstieg, um mit Befriedigung diese uneigennützige, der Wissenschaft ge­weihte Schöpfung:den Tempel der Wissenschaft" zu schauen. Da st u r z t e er aus Versehen bis ,n den Keller