SerLckeribergische Naturforschende Gesellschaft.
Festsitzung zur Feier des 200. Geburtstages Karl v. Linuss.
Frankfurt a. M., den 23. Mai 1907.'
Vorsitzender: Tr. mcd. August Knoblauch.
! f m mit Pflanzengrün dekorierten Saale war eine Ausstellung von Bildern Li-nn^s und seinen hervorragendsten Werken veranstaltet, unter denen namentlich o>ne vollständige Serie von den 13 verschiedenen Aus. gaben des hauptsächlichsten Werkes von Linus „Systems naturae' auffiel. Diese wie andere seltene Bücher von Linn^ entstammen der Privatbibliothek des Herrn Prof, v. Heyden, der sie für die Festsitzung zur Verfügung gestellt hatte. Auch aus der Senckenbergischen Bibliothek war manches wertvolle Werk Linn6s ausgelegt.
Zunächst spricht Prof. Dr. M. Möbius über:
„Linn6 als Botaniker".
Ter Vortragende beginnt mit einer kurzen Schilderung von Linn6s Lebenslauf, der durch die Schwierigkeiten interessant ist, mit denen LinnS zu kämpfen hatte, um sich ganz dem Studium der Pflanzenwelt widmen zu können. Die Liebe zu dieser war ihm angeboren und so groß, daß er auf der Schule andere Arbeiten vernach» lässjgte und von seinem Vater einem Handwerker in die Lehre gegeben werden sollte. In diesem Falle, wie auch später ln entscheidenden Momenten, fand Linus Rettung bei einem vermögenden Gönner, so auf der Schule und auf der Universität Upsala, als er ganz verarmt lvar. Sein zukünftiger Schwiegervater gab ihm Geld, um in Holland zu promovieren. Hier stellte ihn der Bürgermeister Cliffort als Leiter seines Gartens an und als er 1738 nach Stockholm znrückgekehrt war, lernte er den Reichsrat Tessin kennen, der ihm schließlich dis Professur in Upsala verschaffte, die er bis zu seinem Tode (1781) iitne hatte und sogar noch auf seinen Sohn vererbte. L i n n 6 s Stärke lag in dem scharfen Blick, den er für die charakteristischen Eigenschaften der Pflanzen hatte und in seinem klassifikatorischen Talent; ungeheurer Eifer für die Sache und großer Fleiß im Arbeiten unter- stützten seine Fähigkeiten. Durch einen französischen For. scher wurde er angeregt, die Staubgefäße und Stempel als EinteilungAprinzip der Pflanzen zu verwenden und darauf ein neues System zu begründe», das er hauptsächlich während seines Aufenthalts in Holland ansibaute. Ta es sich viel praktischer erwies, als alle vorher ausgestellten Systeme, eroberte es sich rasch die ganze botanische Wels und begründete den Ruhm seines Erfinders, der sehr wohl einsah, daß sein Mlassiges, sogenanntes Sexualsystem ein künstliches und unnatürliches sei, und daß man nach einem „natürlichen" System der Pflanzen streben müsse. Da» galt aber nur für die Theorie, in Wirklichkeit blieb er immer bei seinem künstlichen Systems Sein zweites
Hauptverdienst in der Botanik liegt in der Einführung der „binderen Nomenklatur", d. h. darin, daß er jede Pflanze mit zwei Worten benannte, deren erstes die Gattung und deren zweites die Art ausdrückte, wozu dann der Name des Benenners zu fügen ist. Damit machte Linus cineni unerträglichen Zustand der Unordnung und Ungewißheit ein Ende.
Eine Uebersicht der gesamten botanischen Wissenschaft gab er in seiner „Philosophia botanica", die insofern als ein Machwerk in ganz scholastischem Geiste bezeichnet werden kann, als darin nicht von der Anschauung ausgegangen wird, sondern nur Begriffe herrschen. Sie dient aber dazu, um sich die Erklärungen für die vielen in der Botanik üblichen Bezeichnungen einzuprägen, und ist offenbar auch in diesem Sinne von Goethe benutzt worden, der, ebenso wie Rousseau, eine große Ber- ehrung für Linn6 besaß. Man kann sagen, daß Linus die dringenden Wünsche nach Ordnung und Benennung für di- botanische Systematik zu seiner Zeit mit einem Schlag- befriedigte, daß er sich damit seinen Ruhm und sein Verdienst erwarb. Er bildet den Abschluß einer Periode, oh>ch der Begründer einer neuen zu sein. Die Erforschung des eigentlichen Pflanzenlebens, die das Ziel der gegenwärtigen Periode ist, war ihm fremd und er hat sie durch seine Abneigung gegen mikroskopische Studien eher zurückgehalten * Trotzdem wird er immer wegen der früher erwähn- ten' Leistungen zu den berühmtesten Botanikern gezahlt
werden-
Sodann spricht Dr. F. Römer über:
„Linnäs Bedeutung für die Systematik".
Um die Leistungen Linn6s auf diesem Gebiet recht zu würdigen, gibt Redner zunächst eine Schilderung über die Unklarheit und Verwirrung, die zur Zeit Linnds in der zoologischen Systernalik und Namengebung herrschte. Die Einteilung des Tierreiches von A r i st o t e l e s in acht Klassen, vier Klassen von Wirbeltieren und vier Klassen von wirbellosen Tieren, war seit dein 4. Jahrhundert v Ehr. maßgebend. In der Benennung von Tieren und Pstanzen herrschte vollkommene Willküfilichkeit; jeder tvählte die Namen nach seinem Gutdünken und in seiner Sprache. Vielfache Verwechslungen warm die Folge; eine internationale Verständigung war nicht möglich. Die- scr Wirrwarr in der Benennung der Tiere ist wohl in Zusammenhang zu bringen mit der Unklarheit, oder dem gänzlichen Fehlen von Vorstellungen über systematische Begriffe und deren logischen Wert. Vor L i n n 6 finden wir kaum einen Versuch, die Einzelwesen, die der Naturforscher vor sich hat, zu kleineren oder größeren Begriffen zu vereinigen..,..E8. fehlt auch jedes Eindringen in das Wesen eines Tieres imd jedes Suchen nach Zusammenhang der. Organismen. Die wissenschaftliche Welt stand noch aus denr Baden des mosaischen Schöpsungsberichtcs, tund von Moses, der etwa 1500 v. Ehr. starb, bis auf Linnck, der 1707 n. Ehr. geboren wurde, ist keine neue Schöpfungsgeschichte der organischen Welt ausgestellt, welche eine bleibende Bedeutung gewann. Der Verfall der Bildung des klassischen Altertums und die siegreiche Ausbreitung der christlichen Weltanschauung wirkten hemmend auf die naturwissenschaftliche Forschung.
An der Klärung dieser drei Fiagen, zoologisches System, wissenschaftliche Namengebung und Schöpsungstheorie, hat L i n n 6 nicht gleich glücklich mitgearbeitet. Seine Einteilung der Wirbeltiere blieb bei den vier Klassen des Aristoteles, doch vertiefte er durch Heranziehung anatomischer und bwlogischer Merkmale die Charakterisierung der einzelnen Klassen. Seine Einteilung der wirbellosen Tiere in nur zwei Klassen, Insekten und Würmer, de» denket gegen Aristoteles einen Rückschritt. Aber «ine unzweifelhafte Verbesserung und ein gewaltiger Fortschritt war Linncks schärfere Gliederung der Tierklassen in: Ordnungen, Gattungen und Arten. Dazu führten ihn sicher-' Ich seine Vorstellungen und Gedanken über den Artbe- griff. Freilich hat L r n n 6 auch hierin nichts neues ge»- bracht, denn mit seiner Definition der Arten: „tot sunt species diversae, quot diversas formas ab initio creavit Infinitum ens" stellte er sich aus den Boden des mosaischen Schöpfungsbcrichteö. Man muß cs als ein besonderes Glück ansehen, daß Lin n 6 diese Ansicht von der Unabänderlichkeit der Art hatte, denn sonst wäre er nicht zu einem so folgerichtig und logisch vollendeten System gekommen. Die Konstanz der Art ergab für ihn die Möglichkeit und zugleich die Notwendigkeit ihrer einheitlichen Benennung. Ten Mangel einer wissenschaftlichen Artbc- mennung hat L i n n 6 zum ersten mal gefühlt, als er 1732 Don seiner Reise nach Lappland zurückkehrte und der wissenschaftlichen Welt Rechenschaft über die dort gesammelten vielen neuen Pflanzen- und Tierarten geben wollte. Die Notwendigkeit einer exakten Artbeschreibung und Namengebung betont er zmii ersten mal 1737 in seiner Schrift ;,Critica botanica", ein« Kampfschrift gegen die damals üblichen langatmigen Beschrciburtgen 'und langen biamen der Pflanzen.
Limits großes Verdienst bestand in der Ausstellung kurzer und klarer Diagnosen, in denen die wesentlichsten Merkmale einer Art übersichtlich aufgestellt sind Md in der Einführung der binaercn Nomenklatur, einer festen sicheren Benennung der Art durch zwei lateimM biamen, für die Gattung und für die Art. Der 'Att'name,' etwa
dem Taufnamen vergleichbar, dient zur gemeinschaftlichen Benennung der Einzelwesen, die sich in allen hauptsächlichsten Eigenschaften gleich sind und nur in kleinen, nebensächlichen Merkmalen abweichen. Ter Gattungsname, etwa dem Familiennamen entsprechend, drückt die gemeinsame Bezeichnung für eine Reihe von sich nahestehenden Arten aus. So sind z. B. Felis leo (der Löwe), Felis tigris (der Tiger), Felis lynx (der Luchs), Felis dome- stic-a (die Hauskatze), verschiedene Arten der selben Gattung Felis. Sodann ordnete Linn6 alle bis dahin be- kannten Tier- und Pflcmzenarten zu einem übersichtlichen Fachwcrk an, in das sid) neue Arten leicht an der richtigen Stelle eintragen ließen. Linnäs Vorgehen fand bei den
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