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Frankfurter Neueste Nachrichten.

Mittwoch, den 23. Dezenrver 1903.

Ausgestorbcn oder noch lebend. Kürzlich zeigte >^ier in der S e n ck e n b e r g i s che n Naturfor. j di e n b c n Gesell schüft und in der uu* ö ^ 0- poIogischen Gesellschaft Pros. Dr. R. H a u t h a l die in einer Höhle von LÜd-Patagomen gefundenen Reste des eigentümlichen, ein Verbind­ungsglied zwischen Faultier und Gürteltier bildenden GryHotheriuni vor und erläuterte dieselben durch einen Vortrag. Die Reste bestehen in einein grotzeren stück, welches noch eine Behaarung Zeigt, dre der­jenigen des Faultieres sehr ähnlich ist. Fm Funern der Haut sind jedoch, zrun Teil ganz dicht, Kaltkorper, einen verdeckten Pcuize r bildend , eingelagert, die LckM

Gürteltier hinüber leiten. Ferner lageii vom Gryvo- therium ein Schädel, Knochen der Beine und Krallen vor. Gleichwie das Fellstück noch die Haare trägt, so enthalten die Knochen tierische Substanz und aus den Gelenkflächen befindet sich noch die guterhaltene Knorpelschicht. In der betreffenden Hohle wurden noch gleich frischerhaltene Reste einer Pferdeart ge­funden, während noch weiter gefundene Reste anderer Tiere einen weit älteren fossileren Eindruck machten. Diese Tatsachen beweisen, Latz Reste verschiedenen Alters in der Höhle gefunden worden sind. . Einige ' der hiesigen Gelehrten neigten auch der Ansicht zu, datz die Grypotherium- und Pferdereste vielleicht gar nicht als fossil zu betrachten sind, sondern datz die Tiere, von denen sie stammen, vielleicht noch in histori­scher Zeit, wenn auch nicht mehr zur Zeit der Ent­deckung Amerikas lebten. Es wurde deshalb auch nicht als unbegründet befunden, datz die Engländer nach Entdeckung der Grypotherium-Reste eine Expe­dition, die zwar erfolglos verlief, ausrüsteten, um die lebenden G r y P o t Herren tu Patagonien auf- zusuchen. Nutzer den Knochen- und Hautresten des Grypotheriums fand man aber auch in der Höhle mächtige Kothballen desselben, von denen Prof. Dr. Hauthal ebenfalls einige zur Vorlage mitbrachte. Pro­fessor Dr. Ferd. R i ch t e rs von hier, dem Prof. Dr. H a u t h a l ein Stückchen eines solchen Koth- ballen ablietz, unterzog dasselbe einer sorgfältigen mikroskopischen Untersuchung, worüber er in der Ä n- thropologischen Gesellschaft berichtete. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist im höchsten Grade lehrreich. Richters konnte in dem Kothballen, welcher noch die dem Kothe eigentümlichen Farbstoffe enthielt, nicht nur das Gewebe von Gräsern und kraut­artigen Pflanzen Nachweisen, sondern er fand auch Algenreste darin, ferner Fetzen von Darmschlcimhaut, den Panzer einer Hornmilbe und die Eier von Tarm- würmern, ein Beweis, datz das Hypotherinm, genau wie die heutigen Tiere, von Darmschmarotzern geplagt wurde. Die Untersuchungsergebnisse Richters dürften auch beweisen, datz die Grypotheriumreste nicht das Alter haben, welches ihnen von mancher Seite znge-, schrieben wird. Sp^

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Erstes Morgrnblan der xrankfurtrr Zeitung.

Neue Funde fossiler Pflanzen bei Frankfurt a. M.

Von Prof. Dr. G. Kinkel!» (Frankfurt). *)

'Die in den Jahren 1884 und 1885 längs des Main ausgeführten Ausschachtungen haben, wie bekannt, nicht allein den geologischen Bau wesentlich aufgeklärt, sondern auch die Kenntnis untergegangener Faunen und Floren in hohem Grade gemehrt. Das Bedeutsamste waren die beim Äusschachten vom Klärbecken bei Nieder- r a d und der Schleußenkammer bei Hoch st gewonnenen Pflanzenreste, da sie die Zusammensetzung des Pflanzenkleides, der Wälder aus der Zeit vor Augen führten, die dem außergewöhnlichen Wachstum der Gletscher im Norden und Süden von Deutschland, von den Alpen und von dem skandinavischen Gebirge aus, unmittelbar voraus­ging. Diese Zeit führt in der Wissenschaft den Namen Obcr- pliocän. Recht ärmlich an Mannigfaltigkeit muß unser heutiger Nadelwald im Vergleich zu dem damaligen erscheinen. Außer der rezenten Fichte, Tanne und Lärche hiesiger Gegend fanden sich noch die Zeugen von fünf Föhrenarten, einer seltsamen Tanne (Abies Loehri), einer

breitschuppigen Fichte und der im südlichen Nordamerika weite Wälder bildenden Sumpfzypresse. Ein zypressen- artiger Baum, dessen nächste Verwandte heute in Australien leben, hatte sich aus der wärmeren Tertiärzeit noch in unfern Breiten erhalten. In ziemlicher Mannigfaltigkeit standen Bäume dazwischen, deren heutige Heimat Nordamerika ist/ wie Amberbaum, Oelnuß (zwei Arten), Hickorinüffe (drei Arten). Neben dem Nadelwald dehnten sich Laubwaldungen, die sich hauptsächlich aus einer Buche mit sehr zierlichen. Wecherchen zusammensetzten.

% Gelegentlich der Erweiterung des Klärbeckens im Jahr M03 taten sich nun wieder diese fossilen Schätze auf. Be- Mders durch die Bemühungen unseres Herrn Askenasy mw der beiden hier tätigen Ingenieure T i m I e r und S teIl w a g von der Wiengesellschaft für Hoch- unä Tief- bauten sind die fossilen, in einem lleinen Braunkohlen- siötzchen eingebetteten Pflanzenreste gesammelt, erhalten und

*) Auf unser Ersuchen hat Herr Professor K i n k e l i n, der geschätzte Geologe und Paläontologe der Sencken-. bergischen Naturforschenden Gesellschaft in Frankfurt, die Güte gehabt, über den neuen wichtigen Fund fossiler Pflan­zenreste, der unlängst in der Nähe unserer Stadt gehoben worden« m. .obigem Artikel zu berichten. D. R e d.

dem Senckenber gischen M u s e u m in opferwillig­ster Weise zugeführt worden.

Besonders zahlreich wurden diesmal Blattreste ge­wonnen; aber auch früher von hier nicht gekannte Früchte boten viel Ueberraschendes. Es ist da bervorzuheben: ein ! ganz grotesker Zapfen einer Föhrenart, dessen nächste Ver­wandte heute in Afghanistan stehen, dann die Charakter- pflanze dieser Zeit, das sogenannte Leitfossil, die Pimis cortesi, die uns schon von Hainstadt und Seligen- st a d t bekannt wan Die Rebe rankte sich in zwei bis drei Arten an Ahornbäumen usw. in die Höhe; wilde Kirsch­bäume, Eichen, Hasel, Hainbuchen usw. waren außerdem dem Waldbestand eingestreut. Eine neue Ueberraschung boten u. a. die heurigen Funde, insofern sich zu den europäischen, kleinasiatischen, nordamerikamschen und australischen Pslan- zenformen nun auch O st a s i a t e n fanden. In vorzüglicher Erhaltung sind Blätter und Früchte von Ghinkgo und der chniesischen Sumpfzypresse (6llvpto8ti'nbn8) erhalten. Unter den Gestränchern ist ziemlich zahlreich die Stechpalme. Vielleicht geben die Blattreste näheren Aufschluß über eine schon von stüher bekannte kleinfrüchtige Palme. Sogar Wiesenkräuter aus den Familien der Schmetterlingsblütler, der Kreuzblütler und Doldenblütler sind erkannt. Bei wei­terer Untersuchung erwarten uns wohl noch manche Ueber- raschungen.

Nach alledem hat das Psianzenbild unmittelbar vor dem Beginn der Neuzeit, der sogenannten Ouartärzeit, in der der Mensch auch durch Werke seiner Hand auf die geschichtliche Bühne Europas tritt, immer noch das Gepräge der Tertiär- zeit, in der es sich aus Vertretern aller Himmelsgegenden mischte, wenn auch der Niedergang des Klimas sich aus dem Vergleich mit ftüheren Floren' unserer Landschaft deutlich ausspricht. Daß neben Holz, Früchten und Samen sich auch zartere Pflanzcnteile wie die Blätter erhalten haben, danken wir besonders dem Umstande, daß mit dem <pand auch toniger zarter Schlamm in die oberpliocäne Seebucht einäeschwemmt wurde, das Lager, in dem überhaupt orga­nische Substanz am besten aufbewahrt ist. So entstand das aus einer Unzahl von Blättern bestehende Packwerk, den, sich Herr Askenasy so mühe- und liebevoll gewidmet hat. Blatt um Blatt'ist abgehoben und nach Art mikroskopi­scher Präparate konserviert.

Die Pflanzenwelt, die also in größter Mannigfaltigkeit vor den Toren Frankfurts aus einem jugendlichen Braun- kohlcnslötzchen gefördert worden ist, gewinnt aber noch be­deutend an Wert und Interesse dadurch, daß aus der Ober» vliocänzeit bisher nirgends Dokumente gewonnen wur­den, die uns über das Klima am Schlüsse der Tertiärzeit s o e i n g c h e n d unterrichten. In unserer Landschaft haben außerdem noch wenn auch nicht entfernt so reichlich und mannigfaltig Beiträge zur Oberplioeänflora geliefert:

die Braunkohlenflöhe von Dorheim in der' Wetterau, bei Niederursel, Höchst, Steinheim, Hain» st a d t und Seligenstadt.

Die Umgegend von Frankfurt scheint noch in ähnlicher Weise von der Naiur bcporzugt; bewahren doch die Absätze des sogenannten Mainzer Tcrtiärbeckens, und zwar in jeder Stufe, eine solche Fülle von Pflanzenresten, daß uns der Wandel von Schritt zu Schritt durch sie so lebhaft vorlieat, wie er aus keiner anderen Tertiärlandschaft sich spiegelt. Davon legen die ausgestellten Sammlungen fossiler Pflanzen im Senckenbergischcn Museum Zeugnis üb.