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Die Kaiserin und die Wissenschaft. In einem Wecke, sas nahezu verschollen zu sein scheint, in der preußischen Ver- assungs-Urkuude, findet sich der Satz:Die Wissenschaft und hre Lehre ist frei!" Eine freie Wissenschaft aber bedarf keiner Zrotektion von oben herab. Wenn in Monarchien hin und lieber einNegent als Protektor einer wissenschaftlichenKörper- chaft auftritt, so bekleidet er diese Stellung als oberster Ver­treter der Regierungsgewalt. Neu ist aber, daß hochgestellten Damen das Protektorat über ein wissenschaftliches Institut verliehen wird, wie etwa ein Regiment. Die Bevölkerung von Frankfurt a. M. hat dieser Tage mit großer Ueber- raschung die frohe Botschaft vernommen, daß auf Wunsch des Kaisers die Kaiserin das Protektorat über die Senckeirbergische Naturforschende Gesellschaft übernommen hat:keiner anderen wissenschaftlichen Körperschaft sei diese Auszeichnung zuteil geworden", heißt es in der Mitteilung dieses Ereignisses. Gewiß nicht, und sie sind solcher Auszeichnung auch rächt be­dürftig. Von besonderen Beziehungen der Kaiserin gerade zur Naturwissenschaft hat bisher nichts verlautet; sie gilt als eine zärtliche und glückliche Mutter und als eine streng kirch­liche und wohlwollende Dame, aber wissenschaftlicheJnteressen, wie sie etwa die Kaiserin Friedrich hatte, liegen ihr offenbar fern. Zweifellos hat der Kaiser die freundlichste Absicht mit dieserEhrung der Wissenschaft" verbunden, aber gerade im demokratischen Frankfurt bleibt inan lieber sich selbst über­lassen. Die Senckenbergische Gesellschaft, die jetzt 86 Jahre besteht, hat sich mit ihren Instituten einen wohlverdienten Ruf innerhalb der wissenschaftlichen Welt erworben und be­durfte keiner Anspornung und dekorativen Auszeichnung von oben her. Das" hätte wohl dem Kaiser einer seiner Ratgeber sagen können, bevor es das führende Organ des Frankfurter- Bürgertums, dieFrankfurter Zeitung", mit offenen Worten der Ablehnung tat. Es könnte der Gesellschaft nunmehr be­gegnen, daß sie auf einen Glückwunsch zum Geburtstag der hohen Protektorin von ihrem Oberhofmeister Worte der Mahnung zurück erhielte, doch ihre Forschungen mehr mit den ^Dogmen der Kirche in Einklang zu bringen. Bekanntlich erging es, den Berliner Stadtvätern ähnlich, die seitdem vor­ziehen, hochgestellten Palastbeaniten jeden Anlaß zum Hof­meistern und Rüffeln zu nehmen. Jedenfalls wünscht man in den Kreisen der Wissenschaft keine Ausdehnung der Damen- Protektorate, zumal die Kaiserin staatsrechtlich lediglich eine hochgestellte Privatperson ist. ,

Bonn kag den 6. Deze mber 1903

VI. Wissenschaftliche Sitzung der Serrtkenbergischeu Naturforschenden Gesellschaft.

Frankfurt a. M., den 5. Dezember 1903.

Vorsitzender: Dr. med- August Knoblauch.

Der Vorsitzende weist zunächst darauf hin, daß auch am nächsten Samstag, den 12. Dezember, eine wissenschaftliche Sitzung stattfinden wird, welche in dem s- Zt. veröffentlich­ten Programin für die Wiutervorträge noch nicht vorge­sehen gewesen ist. In dieser Sitzung wird Professor R. Hauthal aus La Plata (Argentinien), ein hervorragender Paläontolog, welcher augenblicklich im Auf­träge der argentinischen Regierung in Deutschland weilt, einen Vortrag über die hochinteressanten Höhlenfunde in Patagonien, insbesondere über die in der Höhle bei Ultima Esperanza ausgefundenen Reste eines Niesenfaultieres halten.

Professor Dr. W. R u p p e l aus Höchst a. M. spricht hierauf über die

Biologie der Tuberkelbazillen.

Die bakteriologische Forschung beschränkte sich anfäng­lich auf den Nachweis der Mikroorganismen und auf das Studium ihrer morphologischen Eigenschaften. Mit dem stetigen Jortschreiten der jungen Wissenschaft traten indessen sehr bald wichtige Fragen in den Vordergrund, zu deren Beantwortung ein eingehendes Studium der Lebensvor­gänge in jenen kleinsten aller Lebewesen erforderlich war. Schon die Isolierung und die Züchtung der Bakterien aus künstlichen Nährböden machten es notwendig, die für jede Bakterienart günstigsten Wachstun,s- und Züchtungs-Be-

dingungen ausfindig zu machen. Die Veränderungen, welche viele Baktcrienarten in den ihnen dargebotenen künstlichen Nährsubstraten hervorriefen, waren weiterhin so augen­fälliger Natur, daß hierdurch die bakteriologischen Arbeiten immer mehr in biologische Bahnen gelenkt wurden. Man erkannte sehr bald, daß den Mikroorganismen nicht nur analytisch abbauende oder spaltende, sondern auch synthe­tisch aufbauende, neuschafsendc Kräfte innewohnten. Diese Studien verschafften uns einen Einblick in das Wesen der Gärung und der Fäulnis. Bei der Gärung werden die Kohlehydrate und zwar vornehmlich der Zucker durch die Lebenstätigkeit der Hefezellen in Alkohol und Kohlensäure 1 zerlegt, während bei der Fäulnis die Eiweißkörper unter den, Einfluß bakterieller Zersetzung in tiefgreifender Weise gespalten werden, so daß das kompliziert zusammengesetzte Eiweißmolekül schließlich in chemisch wohl definierbare, kristallinische Substanzen zerfällt, welche gewissermaßen als die Bausteine des großen Eiweißmoleküls anzusehen sind. Neben diesen Bruchstücken des Eiweißmoleküls aber fanden sich in gefaulten Materien Verbindungen vor, welche nian nicht ohne weiteres als Zerfallsprodukte der Eiweiß­körper anspreclM konnte, sondern welche man als Neubil­dungen ctnsehen mußte. Für diese neuen Verbindungen muß'? ebenfalls die Lebenstätigkeit der Fäulniserreger verantwort­lich gemacht werden, und es war hierdurch der Beweis ge­liefert, daß diesen Mikroorganismen entschieden aufbauend oder synthetisch wirkende Kräfte zuerkannt werden müssen. Die bei den Fäulnisvorgängen neugebildeten Verbindungen hat man wegen ihrer basischen und torischen Eigenschaften den pflanzlichen Alkaloiden an die Seite gestellt und hat ihnen, ihren Fundorten Rechnung tragend, die Bezeich­nungen Kadaveralkaloide oder Ptomakne beigelegt. Während die Ptoniame hinsichtlich ihrer .chemischen Konstitution gewissen Bruchstücken des Eiweißmoleküls immer noch sehr nahe stehen und wegen der relativen Einfachheit ihrer Zu­sammensetzung die Zurechnung zu den pflanzlichen Alka­loiden eigentlich wenig verdienen, so treten in den Kultur- flüssigkeiten anderer Bakterienarten neue Verbindungen auf, von denen wir annehmen müssen, daß ihr chemischer Bai! ein höchst komplizierter ist. . Die Erzeugung, der Ptomaine ist außerdeni eine Fähigkeit, welche einer ganzen Reihe verschiedener Bakterienarten gemeinschaftlich zu­kommt, die Bildung jener komplereren Verbindungen da­gegen ist eine rein spezifische in dem Sinne, daß eine be­stimmte Verbindung dieser Gruppe immer nur von einer ganz bestimmten Bakterienart hervorgebracht werden kann. Es sind dies die eigentlichen Bakteriengifte oder Toxine, von welchen das Diphtherietorin und das Tetanustoxin hinsicht­lich ihrer physiologischen und toxikologischen 'Eigenschaften am genauesten studiert worden find. Die Torine sind vor allen anderen bisher bekannten mineralischen oder pflanz­lichen Giftstoffen durch eine hervorragende Giftigkeit aus­gezeichnet. Sie vermögen in ganz erstaunlichen Verdün­nungen bei Versuchstieren schwere Vergfttungserschemun- gen auszulösen und diese Vergiftungserscheinungen bieten dasselbe Krankheitsbild dar, wie es eine Infektion mit dem entsprechenden lebenden Bakterium veranlaßt, welchem das bet: »sende Toxin seine Bildung verdankt. Verleibt man einem Organismus die Bakterientoxine i n allmähl ich an­steigenden Dosen ein, so erlangt derselbe hierdurch Gift­festigkeit oder Immunität und zwar sowohl gegen das be­treffende Toxin, als auch gegenüber einer Infektion mit dem entsprechenden Erreger. Bei dieser Giftbehandlung treten im Blute der immunisierten Tiere die entsprechenden Gegengifte oder Antitoxine ans, das heißt das Blutserum der Tiere gewinnt die Fähigkeit, das zur Vorbehandlung benutzte Toxin sowohl in vitro, wie auch im Organismus eines anderen Individuums unschädlich zu machen. Durch die Studien der letzten Jahre sind die quantitativen Be­ziehungen zwischen Toxinen und Antitoxinen in schärfster Weise festgelegt worden. Die Bestimmung der Giftigkeit eines Toxins, die Bewertung der Antitoxine, dies sind ana­lytische Operationen, welche man heutziktage mit Hülse des Tierexperiments bis zu demselben Grade der Genauig­keit ausführen kann, wie der Chemiker den Gehalt einer Säure- resp. Alkali-Lösung durch Titration mit Hulfe eines beliebiaen Indikators bestimmt. Die Erfolge der Gift- und Antitoxin-Bewertung verdienen um so mehr an- erkannt zu iverden, als inan weder Toxine noch Anü oxine bisher in reinerForm herzustellen verinochte. Die Ba erien- gifte z. B. besitzen und verwenden wir nur in F°rni oer Kulturflüssigkeiten oder allenfalls in Form von t schlügen, welche man durch Alkohol, Neutra sa z dere Jällunasmittek in diesen Kulturflusiig ei ^ kann. Alle diese Präparate bilden Gemenge d» h ! ^

sten Substanzen, wie Eiwe!ßkorper, Salze, K h HY