nicht leicht werden, Merkmale anzugeben, welche jeden in den Stand setzen, eine Giftschlange, d. h. eine, die diesen Namen ini landläufigen Sinne trägt, als solche zu erkennen. Es bleibt nichts übrig, als zuzugeben, daß dies oft selbst erfahrenen Beobachtern nicht möglich gewesen ist, da die äußeren Unterschiede zwischen beiden Gruppen recht unbedeutend sind. In manchen Lehrbüchern werden allerdings noch heute gewisse charakteristische Eigentümlichkeiten angegeben, durch die sich die Giftschlangen auszeichnen sollen; bei näherem Zusehen, namentlich bei sorgfältigerer Prüfung hält kaum eine dieser Angaben Stand, zumal wir berücksichtigen müssen, daß auch hier die Mimicry eine große Rolle spielt und sowohl nach der einen wie nach der anderen Seite Anlaß zu Irrungen und verhängnisvollen Täuschungen gibt. Weder der kurze, dicke Körper, noch der scharf dreieckige Kopf, noch der rasch spitz zulaufende Schwanz finden sich nur bei Giftschlangen, und was man von dem furchteinslößenden, gefahrorohenden, mit Zauberkraft begabten Blicke dieser Wesen seit Alters gesagt hat, gehört vollends in das Reich der Fabel. Es mag an allen diesen Angaben etwas Wahres sein; keines der erwähnten Merkmale aber genügt zur erforderlichen zweifellosen Feststellung, was fitr ein Tier wir vor uns haben, und so bleibt nur noch ein, dafür aber auch umso untrüglicheres Kennzeichen übrig. derBesitz derGiftzähne oder des gesamten Giftapparates. Mit Rücksicht hierauf hat man eine ganz natürlich sich ergebende Unterabteilung: Giftschlangen (Toxidophidia) gebildet, welche wieder in zwei deutlich geschiedene Gruppen zerfällt, die „Röhrenzähner" (Soleno- glypha) mit der Kreuzotter, den Vipcrarten und der Klapperschlange, deren Giftzähne von einer wirklichen Röhre durchbohrt sind, und die „Furchenzähner" (Protero glypha) mit der Korallenotter, der Brillenschlange, den Wasser- oder Seefchlangen, deren Giftzähne an der Vorderseite nur eine Furche oder einen Kanal aufweisen.
Gewöhnlich stehen zwei solcher Giftzähne im Oberkiefer^ einer rechts, einer links; sie sind oft ziemlich stark gebogen, und ihre Spitzen zeigen nach rückwärts, wenn sie die Schlange nicht im Augenblick, wo sie beißen will, aufge- richtet hat. Wie schon erwähnt, besitzt jeder Zahn entweder eine geschlossene Röhre oder auf der Vorderseite eine Furche, durch welche das Gift aus der Giftdrüse in die beim Biß verursachte Wunde fließt. Bei genauerem Zusehen entdeckt man häufig noch eine ganze Reihe kleinerer, weniger entwickelter Ersatz- oder Reservezähne hinter dem ersten, welche an seine Stelle rücken, wenn er durch irgend welchen Zufall abbrechen oder sonstwie verloren gehen sollte.
Hinter dem Giftzahn, unter und hinter dem Auge, liegt die Giftdrüse, die das todbringende Gift absondert und bis ! zum Augenblick des Bedarfs aufbewahrt. Sie steht durch einen Aussührungsgang mit der ebenerwähnten Röhre oder Furche des Giftzahnes in Verbindung, und aus ihr wird teils durch das Zusamnienziehen ihrer Muskelwändc, teils durch den Druck der Kinnladenmuskeln, vielleicht auch durch zusammenpressende Wirkung, die der Zahn augenscheinlich ausübt, wenn er beim Beißen etwas nach oben und rück- ivärts gedrückt wird, der verderbenbringende Inhalt in die Wunde eingeführt.
Wie die Gifrdrüse wahrscheinlich eine Art modifizierter Speicheldrüse ist, so darf man das Schlangengift selbst mit dem Mundspeichel vergleichen, ja es wird von vielen Chemikern und Physiologen geradezu als eine Art Speichel angesehen, der nach und nach seine gefahrdrohenden Eigenschaften angenommen hat. Diese Ansicht wird durch den Umstand bestätigt, daß es Giftschlangen gibt, deren Biß, obgleich schmerzhaft und von unangenehmen Folgen begleitet, nicht gefährlicher ist als der Stich eines Skorpions oder einerHornisse. TasGift sieht in den meisten Fällen sehr unschuldig aus: eine wasserklare, oft leicht bewegliche, zuweilen auch zähe gelbliche oder grünliche Flüssigkeit ohne Geruch und Geschmack, die blaues Lackmuspapier rötet und dadurch ihren sauren Charakter verrät. Ueber seine chemische Zusammensetzung steht jetzt so viel fest, daß es zu den Eiweißkörpern gehört und daß es aus zwei Hauptbestandteilen gebildet ist, deren einer zu den Peptonen gerechnet werden muß, während der andere große Aehnlich- keit mit Globulin aufweift. Jeder einzelne besitzt aber noch seine eigentümlichen Eigenschaften und Fähigkeiten, die uns nötigen, beide doch als ganz besondere, für sich stehende und für sich zu betrachtende Körper anzusehen.
Beide lassen sich ohne große Schwierigkeit aus dem Schlangengift gewinnen, wenn man dasselbe, in etwas destilliertem Wasser gelöst, in einen Zylinder bringt, dessen unteres, offenes Ende mit tierischer Blase überbunoen ist und in einem anderen mit Wasser gefüllten Gefäß steht. Das Pepton geht durch die durchlässige Scheidewand hindurch, das Globulin bleibt als weiße Masse zurück, die sich leicht wieder in ein wenig Salzwasser auflöst. Aus
beiden Substanzen läßt sich durch Mischung das ursprüngliche Gift wieder Herstellen.
Versucht man nun, die Wirkung der Einzelbestandteile auf den tierischen oder menschlichen Körper festzustellen, \o ergibt sich das Folgende: das Peptongift (oder Gift--! pepton) bringt an der Bißstelle selbst nur unbedeutende s Veränderungen hervor; umso tiefgreifender ist aber seine Einwirkung auf die Gesamtheit des Nervensystems. Von der Wunde an bis zum Zentralnervenstamm werden die kleinen wie die großen Nervenstränge von einer Lähmung befallen, die sich oft mit grauenhafter Schnelligkeit verbreitet und die Ursache davon ist, daß alsbald ein furchtbarer Kräfteversall eintritt, der den Tod zur Folge hat.
Namentlich werden die Nerven-Zentren davon betroffen, die die Atembewegung beeinflussen und regeln, sodaß der Mensch oder das Tier, das mit solchem Giftstoff behandelt worden ist, geradezu den Erstickungstod sterben muß.
Ganz andere Wirkung übt der zweite Hauptbestandteil des Schlangengiftes, das Globulingift (oder Giftglobutinj, aus. Während beim normalen Tiere die Blutgefäße für die Blutflüssigkeit vollständig undurchlässig sind und die letztere selbst sofort gerinnt, sobald sie mit der Luft in Berührung konimt, hebt das Globulin des Schlangengiftes beide Eigenschaften sofort auf, sowie es auch nur in winziger Menge mit dem Blute, also an einer Bißstelle, in Berührung kommt, und diese Einwirkung findet nicht nur an der Wunde, sondern näher und weiter entfernt davon, in schweren Fällen überall im Körper an Hunderten von Stellen, statt, sodaß es erscheint, als ob der Mensch oder das Tier an innerer Verblutung zu Grunde gegangen wäre. Im Gehirn, in der Lunge, in der Leibeshöhle, überall ist das Blut aus den Gefäßen durch die Wände derselben in die umliegenden Gewebe getreten, und überall hat es die Fähigkeit verloren, zu gerinnen, sodaß auch hier der Tod in vielen Fällen eine unausbleibliche Folge ist, streng ge- nommen wieder ein Tod durch Ersticken, aber nicht aus denselben Gründen, wie im ersten Falle, sondern weil die Lunge mit Blut gefüllt und somit das Atmen unmöglich
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gemacht ist.
Nun enthält das Gift der Cobra und mit ihr vieler anderer Schlangen Asiens und Afrikas etwa 98 Prozents Pepton, das der Kreuzotter und der Klapperschlange etwa 5, Prozent, wobei in jedem Falle der andere Giftstoff den.
Rest bildet. So kommt es, daß man leicht auf den ersten Blick schon an den örtlichen und allgemeinen Symptomen erkennen kann, welche Schlangenart gebissen hat. Allerdings hängt die Wirkung eines Schlangenbisses noch von gar vielen begleitenden Umständen ab, von der Größe und dem Alter der Schlange, von der Beschaffenheit des gebissenen Menschen oder Tieres, von der Stelle, wo die Wunde liegt, von der Wittexung, der Jahreszeit usw., nicht zum wenigsten auch von der Willenskraft, mit der der gebissenes Mensch den lähmenden Einflüssen des Giftes Widerstand' zu leisten entschlossen ist.
Die Zahl der Gegenmittel ist Legion. Hierbei ist zu be-. rücksichtigen, daß es in der Tat eine Zieche Chemikalien gibt, die die Wirkung des Schlangengiftes aufheben; einmal sind sie aber gewöhnlich nicht zur Hand, wenn weit draußen im Walde oder Gebirge jemand gebissen worden ist; ja selbst wenn sie augenblicklich bei der Hand sind und so rasch als! möglich zur Anwendung gebracht werden, so hat doch in Bruchteilen von Sekunden das Gift schon hinreichend die Möglichkeit gehabt, seinen unheilvollen Einfluß auszuüben, und die Hülfe kommt zu spät; andererseits aber zerstören viele solcher chentischer Mittel nicht nur das Gift, sondern zugleich auch die Gewebe, mit denen sie in Berührung gebracht werden, und so sind sie schlimmer als nutzlos.
Am besten hat sich noch Alkohol in großen Mengen, ätißerlich wie innerlich, bewährt, streng genommen, nicht als Gegenmittel, sondern nur als Stimulans für die Nerven, die ja durch das Gift in einen Zustand der Schwäche versetzt, gelähmt worden sind und meist im Begriff stehen, ihre Tätigkeit ganz einzustellen. Freilich darf nicht uner- wähnt bletben, daß mancher schon geradezu infolge des unvorsichtigen, allzureichlichen Genusses von Alkohol gestorben ist, nicht aber vom Schlangenbiß, gegen den der Alkohol als Heilmittel dienen sollte.
Gegen die Wirkung des Schlangengiftes auf das Blut gibt es bis jetzt noch kein wirklich verläßliches Mittel. Vielleicht gelingt es später einmal, die Serumbehandlung auch auf diesem Gebiete anzuwenden, denn man hat schon festgestellt, daß Tiere, die zwar gebissen worden waren, sich aber erholt hatten, später gegen weit größere Mengen Schlangengift unempfindlich blieben, und daß ihr Bum andere' Tiere eingespritzt, immunisierende Eigenschaften _
aufwies. (J^.