Nachrichte n. Sormisg öm 25. Januar 1903

Wissenschastiiche Sitzung der Seniken- bergischerr Naturforschenden Gesellschaft.

Samstag, den 24. Januar 1803.

Vorsitzender: Dr. med. E. Roediger. '

Zahnarzt Tr. Schaeffer-Stuckert spricht über.:

Die heutigen Anschauungen über die Entstehung der Zahncaries.

Die Caries der Zähne nimmt unter den Erkrankungen des menschlichen Körpers eine Sonderstellung ein, da das. Zahngcwebe nicht die Tedingungen der Ausheilung in sich birgt. Tie Forschungen werden deshalb nicht auf die Auf­findung eines Caries-Erregers noch auf die Gewinnung eines spezifischen Heilmittels gerichtet sein, sondern mannig­fache Ursachen tragen zum Zustandekommen dieser Erkrank-. ung bei.

Redner erläutert vor dem Eingehen auf die verschiedenen .Ursachen kurz den Bau und die Entwicklung der Zähne. J.ir die Ursachen der Zahncaries kommen namentlich in Be­tracht die beiden Hartgewebe der Zähne: Schmelz und Zahnbein oder Dentin. Tie Anlage dieser Gewebe, die Verkalkung erfolg: für die Milchzähne vom fünften Mo­nat des Joetallebens ab und für die bleibenden Zähne in den vier ersten Lebenswahren des Kindes.

Redner theilt die Ursachen zur Zahncaries in exi - stirende und prädisponirende Ursachen ein. Ueber die existirenden Ursachen sind seit Hippokrates und I Galen bis heute die mannigfachsten Theorien ausgestellt/ Jetzt gültig ist die von Miller begründete chemisch-parasi- rare Theorie. Danach ist der erste Vorgang bei der Zer­störung des Zahnschniclzes die chemische Einwirkung von.

, Säuren, die die zirka Löprozentige anorganische Substanz , des Schmelzes lösen. Tie hauptsächlichste Säurequelle im ' Munde ist die Währung der Kohlehydrate. Die Speisereste von Zucker, Brot, Kartoffeln, Stärke bilden Milchsäure, die der schlimmste Feind des Zahnschmelzes ist. Es sind ins­besondere alle klebrigen stärke- und zuckerhaltigen Nahrungs- rnittel geeignet, den Beginn der Caries zu fordern. Nach- dem die Säure die harte Schmelzsubstanz chemisch gelöst hat, tritt die Parasitäre Wirkung, die zerstörende Wirkung der Bakterien, in Thätigkeit. Die Bakterien haben im Munde die günstigsten Lcbensbedingungen. Von Miller sind sechs pathogene Mundbakterien in cariösen Zähnen kon- statirt, denen sonstige Krankheitserscheinungen nicht zuzu­schreiben sind. Es finden sich aber auch Mikroorganismen in cariösen Zähnen vor, die bei Allgemeinerkrankungen des Körpers, bei Lungenentzündung, Tuberkulose und anderen nachgewiesen worden sind. Die neuesten Forschungen von Preiswert machen nun sogar auch die Gährungserreger der Ciweißstosfe, des Fleisches der Eier u. a. für das Ent­stehen der Caries verantwortlich, so daß für den Schmelz in Bezug aus die Bakterien im Munde gesagt werden kann: Feinde ringsuni. Jnc Allgemeinen aber ist der Zahnschmelz auch gegen die Einwirkung der Säuren sehr widerstands­fähig. Die verschiedene Widerstandsfähigkeit der Zähne ist die Hauptfrage der prädisponirenden Ursachen. Namentlich der Kalkgehalt des Schmelzes kommt bei den prädisponirenden Ursachen in Betracht. Riscs aus­gedehnte Untersuchungen haben nachgewiesen, daß aus kalkarmem Boden schlechte Zähne, auf kalkrcichem Boden gute Zähne oortommen. Als gute Zähne sind im Allgemeinen gelbliche, als schlechte die bläulich-weißen und weißen 'Zähne zu bezeichnen. Auch das Vorkommen der Farben stimmt mit dieser Statistik überein. Die Härte des Wassers Kalkhaltiges Wasser hat einen größeren Härle- grads stimmt gleichfalls mit der mehr oder minder großen Carieslrequenz übcreim Als Untersuchungsmaierial hat Rise Schulkinder, namentlich aber Musterungspflichtige ge­habt, und Redner spricht die Hoffnung aus, daß die Unter­suchungen der Zahnverhältnisse bei Musterungspflichtigen noch weitere Aufschlüsse bringen werden. Weitere prä­disponirende Ursachen sind der Kalkgehalt des Speichels, der nach Michel auch aus den mehr oder minder hohen Härtegrad des Wassers znrückgeführt wird. Dann ist von Wichtigkeit für die Bildung der Zähne die Ernährung wäh. stend des Zoetallebens sowohl, als während der vier ersten

Lebensjahre. Das Stillen der Kinder ist von heilsamem Einfluß aui die Entwicklung der bleibenden Zähne. Aber auch bei dem Ersatz für die Muttermilch wird zu wenig aus genügende Kalkzufuhr gesehen. Der Salzgehalt der Kiudernährmittel ist ein sehr verschiedener, und wie Red- ner an einer Tabelle zeigt, sorgen nur wenige Kindernähr­mittel für genügenden Gehalt an Kalksalzen. Ernährungs­störungen, Krämpfe, Verdauungsstörungen verursachen oft bleibende mangelhafte Schmelzdildung. Auch die Rassen- eigenthümlichkeit spielt nach Rise eine einflußreiche Rolle bei deni Auftreten der Caries. Langköpfe mit schmalem engem Kiefer haben größere Cariesfrcquenz als Kurz­köpfe mit breitem Kiefer. Die Erblichkeit ist gleichfalls unter die prädispcnirenden Ursachen zu rechnen, denn das enge Zusammenstehen breiter Zähne im engen Kiejerbogen gibt zweifellos Anlaß zur Entstehung von Cariesheerdcn.

Schließlich ist die aus den Statistiken Rises hervor­gehende Beobachtung zu erwähnen, daß in Gegenden mit schwarzein dickrindigenr Roggenbrod weniger Caries anf- tritt als bei Genuß weißen weichen Weizenbrods. Dieser Umstand ist auf die mechanisch reinigende Wirkung des Kuuens harter Rahrrmgsstosse zurückzuführen, setzt aber stillschweigend auch eine gewisse vitule Reaktion voraus, die beim Zahn noch nicht völlig nachgewresen ist. Der Satz: Jedes Glied des menschlichen Körpers wird durch Benutz­ung besser und kräftiger, muß in gewisser Beziehung auch! für die Zähne gelten. Das beweisen die Zähne der Natur­völker, das zeigen hauptsächlich die enormen Größen bei den prähistorischen Zahnfunden der Schipka-Höhle, von Krapina u. a.

Ter Redner läßt seinen durch zahlreiche Tafeln erläuter­ten Ausführungen die Vorführung einer Anzahl auf das Thema bezüglicher vorzüglicher Pro ektionsbilder folgen, die er dem Leiter der Zentrale für Zahnhygirne Dr Rise in Dresden und Professor Tr. Walkhoff vom zahnärztlichen! Universitäts-Jnslitut in München verdankt.

Nachrichten» Sonntag dm 8. jetroror 1903

Wissenschaftliche Sitzung btv Äencken- hergischen Natursorschendeu Gesellschaft.

Frankfurt a. M., 7. Februar 1903. Vorsitzender: Dr. weck. August Knoblauch.

Dr. nieck. Oskar K o h n st a m m aus Königstein im Taunus spricht über

Intelligenz und Anpassung/

Er geht darauf aus, die seelischen Erscheinungen wies andere Lebensvorgänge einerseits biologisch, andrerseits energetisch zu begreifen, ohne dabei das Psychische aus dem sogenannten Materiellen erklären zu wollen. Der Ursache lichen Betrachtung erscheinen die psycho-physischen Er-> regungen alsErregungsketten", deren einzelne Glieder nach allgemein naturloissenschaftlichen Prinzipien als von­einander abhängig dargestellt werden können. Biologisch müssen sie aber auch unter dem Gesichtspunkt derReiz-: Verwertung" betrachtet werden, sodaß die psychischen Ein- drücke als zweckmäßige Reaktionen, als Verwertung des Reizes im Interesse des Subjekts erscheinen. Wenn mast die Sache so betrachtet, stellen sich die intelektuellen Pro-j zesse dar als Spezialfall der die ganze belebte Natur be­herrschenden funktionellen Anpassung. Die Gesetze dev Natur, der Kunst, der Ethik erscheinen ebenso als zweck-' mäßige Anpassungen wie z. B. die nach statischen Prin­zipien konstruierte Struktur der Knochenbälkchen im Ober­schenkelhals.