Orientierung über den Bestand eines bestimmten Faches, bedarf es eines Katalogs, der die Bücher nach Wissenschaften aufteilt und in jedem Fach nach Maßgabe des Bestandes untergeordnete Klassen und engere Gruppen bildet. Der Realkatalog verfährt also umgekehrt wie der Schlagwortkatalog, er trennt das gegenständlich Zusammen­gehörige und vereinigt das wissenschaftlich Zusammengehörige. Zur Vollbringung dieser Aufgabe genügt es aber nicht, daß man auf der Universität die Fähigkeit selbständiger wissenschaftlicher Forschung auf einem Spezialgebiet dargetan hat. Wohl ist das eine unerläßliche Voraussetzung für den bibliothekarischen Beruf, denn nur auf diesem Wege wird das erworben, was der Bibliothekar auf Schritt und Tritt benötigt, wissenschaft­liches Verständnis und wissenschaftliches Urteil. Um aber einen Realkatalog anzulegen, bedarf es außerdem einer formalen Wissenschaftskunde auf allen Gebieten, bedarf es der Fähigkeit, auf Grund der theoretischen Wissenschaftsysteme ein dem individuellen Bedürfnis der Anstalt und ihrer Benutzer entsprechendes praktisches System zu entwerfen, weiter zu bilden und täglich mit Geschick zu handhaben. Die Führung des Realkatalogs stellt den Bibliothekar jeden Tag vor neue Probleme, und um diese zu lösen, muß er auf allen Wissensgebieten gleichmäßig bewandert und gleichmäßig urteilsfähig sein. Er muß also alle Fächer gleichmäßig lieb haben. Und das gilt auch für das zweite wissenschaftliche Hauptgeschäft, das ihm obliegt, die literarische Auskunft.

Wenn ich Gäste in meiner Bibliothek herumführe und zu dem Büchermagazin komme, ist mir schon häufig die Frage entgegengetreten: O, welch eine Masse Bücher, kennen Sie die Bücher alle, die können Sie doch nicht alle gelesen haben? Diese Ausrufe zeigen, wie wenig das Publikum im Stande ist, sich von bibliothekarischer Bücherkunde eine Vorstellung zu machen. Ich will diese an einem Beispiel erläutern. Jeder Gebildete hat in seinem Hause eine allgemeine alphabetische Enzyklopädie, genannt Konversationslexikon, z. B. Meyer oder Brockhaus. Dieses Werk hat er auch nicht von A bis Z durchgelesen. Trotzdem weiß er ganz genau, was er im Konver­sationslexikon zu suchen hat, er weiß auch, daß die einzelnen Artikel von Fachgelehrten bearbeitet, die Daten zuverlässig, die Literaturangaben mit bestem Verständnis ausgesucht sind, daß das ganze Werk eine Fülle von gediegener Belehrung bietet für jeden, der es zu benutzen versteht. So wie jeder Gebildete sein Konversationslexikon, so kennt der Bibliothekar hunderte und tausende von wichtigen Werken aus allen Wissenschaften, das heißt, er weiß, was darin zu suchen und welches ihr wissenschaftlicher Wert ist, wie sie angelegt oder angeordnet, auch ob sie leicht oder schwer verständlich sind, und anderes mehr. Diese Art von Bücherkunde darf aber nicht verwechselt werden mit Vielwisserei. Die Zeit, wo der Bibliothekar seine Auskunft als Vielwisser hätte erteilen können, liegt um Jahrhunderte zurück. Und Vielwisserei in diesem Sinne ist bei dem heutigen Wissenschaftsbetrieb ein Ding der Unmöglichkeit. Wo aber nun die bibliothekarische Bücherkenntnis aufhört und auch die eigene Bibliothek samt ihren Katalogen den Bibliothekar im Stich läßt, da tritt sein bibliographisches Orientierungs­vermögen in Kraft, um jeder Zeit an die Stelle zu gelangen, wo % eroder seine Benutzer Rat und Hilfe finden, ganz einerlei in welches Wissensgebiet der Weg führt. Denn die Bibliographie, der auch die enzyklopädischen und biographischen Nachschlagewerke zuzurechnen sind, muß er in demselben Maß beherrschen wie die formale Wissenschafts-

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