Die Vorgeschichte
der Johann Wolfgang Goethe-Universität
Von Dr. med. August de Bary
Dem Gedanken, in Frankfurt eine Universität zu gründen, begegnen wir erstmals am Ende des 14. Jahrhunderts. Damals bestanden bereits zwei deutsche Universitäten, nämlich zu Prag (1347) und in Wien (1369), während im Westen Deutschlands eine Universität fehlte, und die Studierenden aus diesem Landesteil ■— neben Bologna — die Universität Paris besuchten. Dort war es anläßlich der doppelten Papstwahl (Urban VI. und Clemens VII.) zu einer Spaltung in der Studentenschaft gekommen. Diese führte 1383 zu einem Exodus der deutschen Studenten, welche den Plan mitbrachten, im Westen Deutschlands eine Hochschule zu gründen. Auf welche Weise dabei die Stadt Frankfurt in diese Absichten einbezogen wurde, darüber fehlen die Angaben. Es findet sich lediglich in dem „Städtischen Rechenbuch von 1383“ unter dem Datum des 20. Februar 1384 folgender Eintrag:
„Item 3 l lz Gulden eyme schulet zu lauffen geyn Ludydhe an den kenzler von Parys umb das Studium von Parys geyn Ftanckfurt zu legen, alss he dry Wochen da lag unde eyn entworte wartete".
Danach hat also der Rat einen Studenten nach Lüttich geschickt, um dem dort verweilenden Kanzler der Pariser Universität den Vorschlag einer Verlegung der dortigen Hochschule nach Frankfurt zu unterbreiten. Der Student mußte drei Wochen auf die Antwort des Kanzlers warten und dann unverrichteter Sache zurückkehren. Außer dieser Eintragung findet sich in den Akten der Stadt nirgends eine Notiz über den Vorgang. Anscheinend haben zu der gleichen Zeit auch andere Stellen den Plan einer Universitätsgründung aufgegriffen. In Sonderheit war es der Kurfürst Ruprecht von der Pfalz, der auch 1383 entsprechende Schritte unternahm. Er erhielt Ende 1384 die päpstliche Bestätigung für die Errichtung einer Hochschule in Heidelberg und konnte dort 1386 die Universität eröffnen. In kurzer Folge kam es dann zur Gründung der Universitäten Köln (1388) und Erfurt (1392), während die Stadt Frankfurt durch den Krieg mit der benachbarten Ritterschaft hart bedrängt wurde und etwaige Hochschulpläne fallen lassen mußte.
In der späteren Zeit haben die neuerstandenen Universitäten den Bedarf für die deutschen — und damit auch für die Frankfurter •— Studenten gedeckt; für die letzteren kam noch 1477 die Gründung der Universität Mainz hinzu. Auch bewegten sich die Absichten des Rates der Stadt Frankfurt in einer anderen Richtung. Die Lage der Stadt an der Kreuzung der großen Handelsstraßen in west-östlicher und nord-südlicher Richtung prädestinierte sie zur Handelsempore und die hier entstandenen Messen verschafften den Bürgern Arbeit und Wohlstand. So trat das Interesse der Bürgerschaft an gelehrten Dingen in den Hintergrund. Das Wort Lersners: „Frankfurt istprin- cipaliter zu der Handlung und nicht zu den studiis gewidmet“, hatte Schon in den frühesten Zeiten Geltung.
Auch die Wiederbelebung des klassischen Altertums durch den Humanismus hat in Frankfurt nur langsam ihren bildungsfördernden Einfluß gewonnen, und die 1520 erfolgte Eröffnung der Lateinschule des humanisti- ‘ sehen Gymnasiums hat nicht zu der wissenschaftlichen Höhe geführt, wie dies dem Nürnberger Gymnasium beschieden war, welches die Ursprungstätte der Universität Altdorf (später Erlangen) geworden ist. Als 1655 in Frankfurt der Gedanke auftauchte, die Gebäude und Mittel des Katharinen- und Weißfrauenklosters zur Errichtung einer Hohen Schule zu verwenden, auf welcher Philosophie, Philologie und Auszüge des öffentlichen Rechtes gelehrt und in der Medizin anatomische und botanische Übungen veranstaltet werden könnten, verhielt sich der Rat schroff ablehnend und bestimmte die Aufgaben des Katharinenstiftes ausschließlich für cari-
tative Zwedce. Ebenso verhidlt sich der Rat, als 1659 die Absicht des Kurfürsten von der Pfalz bekannt wurde, seine Universität von Heidelberg wegzulegen, ja, als 1693 nach der Zerstörung Heidelbergs durch die Franzosen die Universität nach Frankfurt flüchtete und hier bis 1698 eine Bleibe fand, geschah von seiten des Rates nichts, um diese Hochschule in Frankfurt zu halten.
Wenn somit im 16. und 17. Jahrhundert der Gedanke der Errichtung einer Universität in Frankfurt seitens des Rates der Stadt niemals verfolgt worden ist, ja im Gegenteil die führenden Männer dieses Kreises eine feindselige Haltung gegenüber solchen Absichten immer wieder zu erkennen gaben, so konnte doch die Wirkung der Errungenschaften nicht ausbleiben, welche der Humanismus überall auf das kulturelle Leben ausübte. Auch in Frankfurt bezeugte die Bürgerschaft eine lebhafte Teilnahme an den neuen Bildungsmöglichkeiten. Wohlhabende Bürger, wie die „Graduirten“ (so nannte man damals die Vertreter der akademischen Berufe) richteten sich eigene Bibliotheken ein und befaßten sich durch Selbststudium mit den alten Sprachen, der Philosophie und der klassischen Kunst, wie auch mit den Naturwissenschaften. Hier gaben die Botanik und die Mineralogie Anlaß zur Anlage von Sammlungen und größeren Gärten. Auch wurden Reisen zu Studien und dem Erwerb von Kuriositäten benutzt. So entstand eine vertiefte und verbreiterte Bildung in dem Bürgertum, dessen Vertreter gern ihr Wissen mit Gleichgesinnten austauschten. Ein gutes Beispiel für diese Haltung ist das unter Führung des Privatgelehrten J. F. von Uffenbach entstandene Collegium Eruditorum, wo ein Kreis gebildeter Bürger in regelmäßigen Zusammenkünften durch Vorträge und Vorweisungen die Fortschritte der Naturwissenschaften und der Technik, sowie auch der Kunst und der Literatur betrachtete. Die so gepflegte Erweiterung der Bildung in den Bürgerkreisen ist bestimmend für das geistige Leben der Stadt geworden. Wenn auch nach dem 30jährigen Kriege die lutherische Orthodoxie zuerst hemmend wirkte, so konnten die Bürger doch aus der Teilnahme an der wissenschaftlichen Bildung den Zugang zu einem freiheitlichen selbständigen Denken erringen. Diese Entwicklung bahnte auch den Weg für einen Mann, dessen Wirken für das kulturelle Leben in Frankfurt von dauerndem Einfluß geblieben ist und auch der Grundstein für die Frankfurter Universität wurde: Johann Christian Senckenberg.
Sein Vater, der Arzt Hartmann Senckenberg gehörte zu der Gruppe der Bürger, die sich durch Selbstbildung ein reiches allgemeines Wissen verschaffte. Er hatte sein H aus zu einem Mittelpunkt geistiger Regsamkeit gemacht und betätigte sich neben seinem Berufe mit botanischen Studien. Mit dem Pietisten Ph. J. Spener eng befreundet, bekannte er sich zu den Ideen von Spener’s „praktischem Christentum“. Von seinen vier reichbegabten Söhnen stand ihm von früh an Johann Christian besonders nahe. Ihn erzog er zur schlichten Frömmigkeit und weckte in ihm das Interesse an der Heilkunde und den Naturwissenschaften, namentlich zur Pflanzenkunde, ohne dabei eine gründliche Allgemeinbildung zu unterlassen. Diese Saat ist auf einen fruchtbaren Boden gefallen. Der äußere Lebensgang des jungen Senckenberg brachte ihm schwere Prüfungen, die zu einer tiefen Verinnerlichung seines Denkens führten. Er stellte sich die Aufgabe, unter Verzicht auf jeden eigenen Nutzen sein Leben dem Dienste an seinen Mitmenschen zu widmen. Als Arzt wollte er den Kranken ein besonders gründliches Können bieten, das er durch stetige Forschung zu erweitern suchte. Als Arzt wollte er auch an der Verbesserung des Heilwesens mitwirken.
Hier hatten die frankfurter Ärzte (damals 19 an Zahl bei einer Einwohnerzahl von 30 000 Seelen!) unter der