welchem sich zwei Gruppen ausbildeten. Einerseits war es der Mittelpunkt der naturwissenschaftlich und medizi­nisch tätigen Geistesarbeiter auf dem Senckenberg-Ge- lände am Eschenheimer Tor, von welchen der Gedanke ausging, ihrem Forschen durch den Zusammenschluß in Form einer Akademie größeren Erfolg zu sichern. An­dererseits gingen die Bemühungen zu einer neuen Einrichtung schreitenden Freien d^fßäien Hochstiftes von seiten der Geisteswissenschaften auf ein solches Ziel. Auch wurde ein Zusammenschluß beider Richtungen er­wogen. Erst 1882 tauchte wieder der Gedanke einer freien Universität auf durch eine Aufforderung L. Büchners, der diese Hochschule aus dem Hochstift ent­wickelt sehen wollte. Aber seine Anregung fand in der Öffentlichkeit keinen Anklang. Ebenso fand eine 1892 er­schienene Denkschrift des frankfurter Journalisten O. KanngießerFrankfurts Gegenwart und Zukunft zunächst wenig Beachtung. In dieser Schrift machte Kanngießer den Vorschlag, in der Geburtsstadt Goethes eine Anstalt zu schaffen, die einen neuen Hochschultypus darstelle, welcher unter Benutzung der vielen vorhande­nen, zersplittert arbeitenden Anstalten und Vereine der höheren Ausbildung für das praktische Leben diene.

Und doch hat die Denkschrift Kanngießers entschei­dende Bedeutung für die Gründung der Universität ge­wonnen. Oberbürgermeister Dr. Adickes schreibt in seinenpersönlichen Erinnerungen zur Vorgeschichte der Universität, daß er in Kenntnis der gescheiterten Hoch- schulpläne von 1866 von den Gedankengängen Kann­gießers sehr beeindruckt worden sei.So wenig ich zu­nächst zu übersehen vermochte, ob in den Vorschlägen ein wirklich beachtenswerter Kern stecke, so prägten sie sich mir doch tief ein.

Adickes, ein Mann von ungewöhnlicher Geistes­größe, besaß die Fähigkeit, eine ihm vorkommende Fragestellung mit außerordentlicher Schnelligkeit bis zu ihrem innersten Kern zu durchschauen und mit Hilfe sei­ner großen Erfahrung und der Gabe raschester Kombina­tion sogleich eine weitschauende Planung zu finden. Dank seiner überragenden Redekunst vermochte er für seine Ziele überzeugend zu wirken und aus anfänglichen Geg­nern begeisterte Mitarbeiter zu machen.

Bald nach seinem Amtsantritt hatte Adickes die auf­ziehende Gefahr für die Geltung Frankfurts innerhalb der deutschen Wirtschaft erkannt. Die zunehmende Ablösung der privaten Bankgeschäfte durch die nach der Reichs­hauptstadt tendierenden Großbanken bedeutete, zumal nach dem Wegfall des Hauses Rothschild, für Frankfurt den Verlust seiner Stellung auf dem internationalen Geld­markt. Diesen Verlust auszugleichen, erschien Adickes als eine wichtige Aufgabe. Um sie zu lösen, überprüfte er die Vorgefundenen Möglichkeiten. Neben einem verstärkten Ausbau der Industrie und der Verkehrs erblickte Adickes in den vorhandenen kulturellen Einrichtungen eine gün­stige Gelegenheit, Frankfurt zu einem Mittelpunkt des deutschen Geisteslebens zu machen. Er war sich darüber klar, daß ein so hohes Endziel nur schrittweise erreicht werden konnte, trat aber sehr bald an die Verwirklichung der Absicht heran.

Hier standen ihm zwei Grundpfeiler zu Gebote. Die Notwendigkeit einer Modernisierung der Krankenanstal­ten und die vorgesehene Erweiterung der ärztlichen Aus­bildung um ein (sog. praktisches) Jahr wurden Adickes Anlaß zur Planung einer medizinischen Schule. Neben kommunalen Vorarbeiten trat er schon 1895 in Verbin­dung mit der Sendcenbergischen Stiftung, um die Ein­richtungen derselben und ihrer Tochtergründungen in seine Zwecke einzubeziehen. Nach erhaltener Zusage wurde nicht nur der Ausbau der städtischen Kliniken mit Nachdruck betrieben, Adickes konnte auch die Errichtung des Institutes für Experimentelle Therapie in Frankfurt erwirken, so daß an der Jahrhundertwerde die Vorbedin­gungen für die Errichtung einer Akademie für Praktische Medizin vorhanden waren.

Der zweite Grundpfeiler lag im Gebiete der Volks­wirtschaft. Hier hatte der Großkaufmann W. M e r t o n

wertvolle Vorarbeit geleistet mit der Gründung des Institutes für Gemeinwohl, welchem er die Aufgabe ge­stellt hatte, eine Station für Volks- und Wirtschaftskunde zu werden. Indem es 1897 Adickes gelang, diese Ziele des Institutes mit den Absichten der Handelskammer, eine Handelshochschule zu gründen, in harmonischen Einklang zu bringen, waren die Gegebenheiten für die Neugründung gefunden. Sie sollte Akademie für Sozial- und H a n d e 1 s w i s s e n s c h a f t e n heißen. Kommunalpolitische Erschwerungen verzögerten die Vollendung des Werkes, jedoch konnte 1901 die Er­öffnung der Akademie stattfinden. Sie entwickelte sich glücklichj^Md konnte ihren Aufgabenkreis bald nach der Richtung einer philosophischen Fakultät ausbauen.

Die gleichzeitigen Vorarbeiten für eine Akademie für Praktische Medizin erlitten 1902 einen Mißerfolg durch engherzigen Widerstand der Ärzteschaft und der Stadt­verordnetenversammlung.

Adickes ließ sich durch diesen Rückschlag nicht ent­mutigen, sondern setzte seine Bemühungen nur um so energischer fort. Es ist kaum vorstellbar, wie er die Fülle der an ihn kommenden Anstrengungen bewältigen konnte. Hatte er doch außer der Menge kommunalpoliti­scher Pflichten noch eine umfangreiche Tätigkeit im Preu­ßischen Herrenhause zu leisten und nun daneben die vielseitigen Arbeiten für den Universitätsplan. Um für diese Sache Freunde und Mittel zu gewinnen, mußte er persönlich werben. Dazu kam die Errichtung eines Kolle­giengebäudes, zunächst für die Handelsakademie. Hier­für waren die Mittel aus dem Vermächtnis der Brüder J ü g e 1 verfügbar, aber daneben bestanden noch weitere Bauvorhaben, so der Neubau der naturwissenschaftlichen Institute, die nach dem Ankauf des Senckenberg-Gelän- des am Eschenheimer Tor durch die Stadt an der dama­ligen Viktoriaallee angesiedelt werden sollten, und auch der Ausbau der Kliniken und der Bau eines pathologisch­anatomischen Institutes.

Angesichts des Ausmaßes der an ihn tretenden An­forderungen war es für Adickes ein Glücksfall, daß er im Magistrate wertvolle Mitarbeiter besaß (Varrentrapp, Bleicher) und außerhalb desselben in den Herren W. Merton und Dr. H. Oswalt beste und treueste Freunde für seine Sache fand. Gemeinsam mit ihnen konnte Adickes den Kreis der Förderer seines Werkes ver­größern. Die Errichtung einer besonderen Studienstiftung durch das Ehepaar Georg und Franziska Speyer ge­stattete die Gründung und Besetzung mehrerer wichtiger Lehrstühle. Andere Gönner stellten Mittel für weitere Lehrstühle zur Verfügung, andere stifteten durch Ver­mächtnis oder Schenkung erhebliche Summen für die geplante Universität. Geschickte Werbung durch die Presse gewann die Zustimmung der Bürgerschaft zu der werdenden Hochschule. Nachdem durch ein großes Legat der Frau F. Speyer auch der Ausbau der Medizini­schen Fakultät gesichert war, stand 1910 der Plan auf so festem Grund, daß Adickes ihn der preußischen Regie­rung und auch den Städtischen Körperschaften vorlegen konnte. Die an diesen Stellen auftretenden Widerstände hatten keine Überzeugungskraft und ließen sich mit dem Nachweis der Vorteile der Neugründung widerlegen. Aus eingehenden Verhandlungen mit dem Kultusministerium und Aussprachen in den preußischen Parlamenten er­gaben sich dann die Grundlagen für einen Gründungs­vertrag der Stifter, der am 28. September 1912 unter­zeichnet wurde. Das große Werk war gelungen. Frank­furts Bürgerschaft hatte aus eigener Kraft eine neue deut­sche Hochschule gegründet und für ihren Bestand neben den sachlichen Beiträgen an Gebäuden und anderen Sach­werten, wie Büchereien, Sammlungen u. a. einen Kapital­betrag von mehr als 14 V 2 Millionen Mark aufgebracht!

Der praktische Ausbau der Universität begann alsbald. Bis zur landesherrlichen Bestätigung übernahm der Rek­tor der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften die Federführung. Mit der im Juni 1914 erfolgten kaiser­lichen Genehmigung wurde das Werk gekrönt, das für alle Zeiten mit dem NamenFranz Adickes ver­bunden ist.