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lehren dursten, was einem Nichtakademiker leicht schlimme Verfolgung eingebracht hätte. Es erih tierte demnach im Verhältnis zu der a^qe meinen Unfreiheit wirklich eine akademische Freiheit, die der Forschung nach Wahrheit zugute kam. Allere dursten auch damals die Bäume nicht in den Himmel wachsen, wie ein gewisser Emanuel Johannes Kant es erlebte, dem der gute König Friedrich Wilhelm II. einfach den Mund stopfte, weil es ihm der Erleuchtung zu viel wurde. Heute dagegen genießt, wie ein Kenner der „Morgen- Post" mit Recht schreibt, jeder einzelne Bürger genau soviel oder so wenig Freiheit als Forscher und Verkünder der Wahrheit, wie irgend ein Professor, vielleicht sogar inehr, weil er von allen Amtsrücksichten frei ist. Andererseits sind die Universitäten schon längst nicht mehr die einzigen Stätten werdender Erkenntnis, liefern vielmehr kaum den Bruchteil eines Prozentes von der Gesamtbildung, die durch den freien Verkehr der Presse und der Vereine verbreitet wird Jedermann kann seine besonderen Lehren begründen und verbreiten und wir habeir auf fast allen Gebieten mehr tüchtige Forscher außerhalb der Fakultätsgebäudc, als in diesen Verbänden.
Die Universitäten sind eben einfach höhere Lehranstalten geworden, in denen junge Leute sich auf einen Beruf vorbereiten oder vorberciten lassen. Läuft dabei ein bischen Ideologie und Gesinnungsmache mit unter, so geht das nie pon den Theorien sondern von den Persönlichkeiten der Lehrer aus. Wer gerade in dieser Beziehung haben die Studierenden nicht minderen Grund zur Skepsis wie alle übrigen Kreise des Volkes. Man macht sich nicht viel daraus, was unsere Professoren sagen, weil sie „Bekenner" im eigentlichen Sinne des Wortes nicht sind. Bon den unlängst Verstorbenen war es Virchow und von den noch Lebenden ist es sein Antipode Adolf Wagner, die Ansehen und Popularität weit über ihre Fachkreise hinaus sich erworben haben, indem sie zu gleicher Zeit Verkünder und Bekenner waren und nicht an jeder scharfen Ecke umbogen. Wenn diese Art noch stark vertreten wäre, dann würde ein Professorennotschrei auch ein Echo im ganzen Volke finden, sowohl bei den Gebildeten, wie bei den Ungebildeten, die vor der Bildung Achtung haben. Wie die Dinge heute liegen, hat man nicht das Gefühl, als seren hohe Güter der Nation in Gefahr.
Nur als Symtom wirtschaftlicher Entwickelungen ist die Professorenbewegung eindrucksvoll. Man meint, es sei doch bei uns ziemlich weit gekommen, wenn Männer von Bildung, Besitz und in fast unerschütterlicher Amtsstellung sich auf eigene Faust ihrer Haut nicht zu wehren vermögen, sondern zur Koalition greisem Wie will man da wagen, dem kleinen Maim im bescheidenen Lebenskreise die Koalition zu beschränken!
Von Frank Rarrett.
131. Forts.s (Nachdr. vecb).
Dr. Dick ivnrd also in den Garten gebracht, und sein Lager neben einem Gefangenen gestellt, der den Arm in der Binde trug. Sobald der menschenfreundliche Wärter außer Hörweite war, fing der neben ihm sitzende Sträfling in dem leisen Gemurmel geübter alter Gauner die Unterhaltung an.
„Hast du Tabak?"
„Nein."
Schweigen.
„Weshalb bist du hier?"
„Wegen Raubmords," antwvrete Munr.oe.
„Alle Achtung, Geicosse. Hätte dich höchstens für einen Urkundenfälscher oder Falschmünzer gehalten. Ich bin Einbrecher. Wolf oder Schaf?"
„Schaf," kam es zurück. „Schafe" waren die Bevorzugten des Inspektors. „Wölfe" die des Direktors.
„Dachte mir es schon wegen deiner Schnmcksachen. Wolltest sie wohl los werden, was?"
„Der Versuch lohnt sich nicht. Was fehlt dir?"
„Ang^schwo lene Leber. Abscheulicher F-.aß hier — die Lieferanten — verrecken mögen sie — betrügen den Direktor, den versoffenen Hund. Bin erst seit vierzehn Tagen hier,
ha-r eS ab«x lckon dick satt."
__ „Die Sonne*.
Gerichts- und Privatbeamte und das liebe Publikunl.
Bon Karl Böttcher*)
„Saget, Steine, mir an, o sprecht, ihr hohen Paläste!
Straßen, redet ein Wort — —"
— so frage ich, frei nach wo?the, hin nach dem Gerichtsgebäude:
Wie kommt es,-' daß in Deutschland so ziemlich jedermann^von einer eigentümlichen Beklemmung befallen wird, sobald er das Gerichtsgebäude betritt?
Selbst Leute, die int Kugelregen ihren Gleichmut bewahren, Leute, welche in größter Gemütsruhe Choleraspitäler besuchen, Leute, die im Knirschen des Schisfbruchs nicht zagen, Leuie, sonst allen Situationen überlegen, — sie alle empfinden beim Gang nach dem Gerichtssaal, wo sie etwa nur als Zeuge auf- trcten sollen, einen Hauch von Unbehaglichkeit. . . .
Woher in aller Welt diese eigenartige Erscheinung?
Weil sich das Publikum oft einem Ver- kehrston gegenübersieht, gegen den es !vehr- los ist: Mangel an elementarster Höflichkeit, amtlfther Rechthaberei, einer Tonart des Schnanzens. —
Ich denke an Deutsch-Ostafkika. . . *
Gar oft hat es mich empört, wenn ich dort beobachten mußte, wie deutsche Beamte mir Negern verkehren. Sobald sie den Schwarzen gegenüberstehen, nimmt der Ton eine gereifte Schimpffärbung an, ut oie einige Tropfen 'Galle geträufelt sind.
Nicht ganz solch grelle Tonarten, aber verwandte Nuancen werden ziemlich oft beim Be.kekir mit den „Parteien" ui deutschen Ge- rickissälen laut. . . Mancher der Herren Präsidenten'schnauzt und schnauzt. Vielleicht, daß er sich oazwischen einem feiner richterlichen Koileoen zuneiat und mit ihm in größter Liebenswürdigkeit einige Worte wechselt. Dann aber wieder zu dexr Parteien gewendet,, r— er schnauzt. . . schnauzt". . . schnauzt. . .
Immer? Nein:, zuweilen moduliert er nach einer leutseligen Tonart. Mit dieser schönen Abwechslung erzielt er in seinem Lehnst rhl geradezu dramatische Effekte.
Aber für gewöhnlich. — nnr den kalten
*) Mit Erlaubnis des Autors seinem neuesten Buch: „Germania — daheim, Neue ungemütliche Wahrheiten" (Leipzig, Verlag von Max Zieger. 3. Auflage. Preis Mk. 1.60) entnommen. _ Die Red.
„An Geduld wirst du dich wohl gewöh- ncn müssen."
„Soll ich dir etwas sagen? Sieben Jahre haben sie mir anfgebrummt — lerne sieben Wachen bleibe ich mehr. — Wie gefällt dir daS?"
„Es klingt sehr schön."
„Möchtest gern wissen, wie ich ans dem Loche heransgelange?"
»Ja."
„Hast du schon einen Kameraden „zertreten" gesehen?"
„Nein."
„Aber ich — in Dartmoor. Er verriet seine Gefährten, die sich den fanrosen Flucht- plan znrechtgelegt hatten, um sich gut Kind beim Direktor zu machen. Es nutzste ihm nichts, denn er wurde einfach „zertreten". Wir sprangen alle auf ihm herum, bis er zu Mus zerquetscht war, noch ehe der Wärter zu seiner Hilft herbereilen konnte. Jetzt willst du noch immer erfahren, auf welche Werse wir hier loskominen. "
„Ja."
„Gut, dann will ich es dir sagen. Doch bedenke, tvas dir passiert, wenn du nicht reinen Mund hältst."
Dr. Dick nickte und lauschte gespannt.
Fünfundzwanzigstcs Kapitel.
Des Galgenvogels Flug.
„Ich habe sofort bemerkt, daß du nichts ioußtcst," fuhr der „Wolf" fort, „denn du erwidertest mv» Leichen nicht."
91 o. ISA
Justizbeflissenen herauskehrcnl Nur höhnen» schreien, poltern — ein Verhalten, das mit der Würde des Gerichts, wie sie der Takar markiert in grellem Kontrast steht. . . .
' Dazu kommt noch etwas Nervös-Verbissenes, als ärgere sich der Würdenträger, daß er bei einer allgemeinen Gehaltsaufbesserung übergangen wurde. Oder daß ihm seine Gattin, die holde, neuerdings Vergrößerung der Familie in Aussicht stellet.
Wenn all die Unhöfliüsiciten und Grobheiten, welche täglich ui deutschen Gerichtssälen aufzucken, als feurige Flammen urnher-- schwebten — mancher Gerrchtssaal wäre ein etnri^es Flammenmeer. —
Ob der Verkehr mit den „Parteien" nicht gut anders möglich ist? Ob derlei Richter zu tiefem Beiseiteschieben der ^Höflichkeit von ehrgeizigen Träumen rück sichtlich der lieben Karriere irregesührt werden? Ob zur gedeihlichen Rechtspflege die Unhöslichkeit zu den nötigen Ingredienzien gehört? Ob in der Atmosphäre schneidigen Anschnauzens die zarte Blume der Gerechtigkeit am frischesten emporsproßt? ....
Fürwahr — vor den Schranken gar mancher deutscher Gerichte grbt's eine schlechte Bewirtung.
Wer sind zuweilen diese so robust austretenden Herren vom Gericht?
Ach, oft brave Seelen, welche nur mühselig durchs liebe Examen gekommen sind, dre — wie die von ihnen gefertigten Protokolle beweisen — nur ganz durstiges Deutsch schreiben, ein Deutsch, mit welchem sie als Reporter bei der kleinsten Zeitung nicht das Salz verdienen könnten; gute Spießbürger, die über eine enghorizontige Lebcnsanschauung verfügen und einzig und allem getragen werden durch — ihr Amt! —
Und nun gar der Verlehr so mancher subalterner Polizeibeamtenschaft mit dem Publikum!
D. die armen Dienstmädchen, die armen Vermieterinnen, die armen Arbeiter wissen ein Lied davon zu singen! Ein solcher Beamter fühlt sich nicht, wie es m andern fortgeschrittenen Ländern der Fall, als „Diener des Volkes", der er in Wrrtlichkert ist, — nein er plustert sich als „Behörde" auf.
So ist bei dem Deutschen die ruhige Gelassenheit, mit welcher er etwa an den Post-. schalter tritt, gegenüber dem Gericht und der Polizei verloren gegangen.
Er knickt zusammen vor — dem Triumph des SchnauALns. _
,Molches Zeichen?" fragte das „Schaf".
„Du sollst es sogleich sehen. Aber ich wiederhole dir nachnials, wrc spielen kein Kinderspiel. Willst du uns bertreteu, dannmrache dir klar, daß du bei der geringfügigsten Ber- rüterei unfehlbar zu Tode geAampM wirft. Wir zwingen keinen, der Angst vor den Folgen hat, gemeinsame Sache mtLunszu machen. Also hast du begriffen?"
',Und gehst mit uns?"
„Ich gehe mit Euch!"
„Gut. Siehst du dre Kerle dort herum- spazieren? "
„Gewiß!"
„Sie sind sämtlich uu Geheimnisse und Mitverschworene. Ich stelle dich ihnen jetzt als neuen Verbündeten vor. Sie werden dich genau anfs Korn nehmen und ivehe dir, wenn du ausplaudern solltest. Bon nun an
S ou jedes Zeichen eines Genossen zu er-.
ern und mußt es selbst denen vormacheu, die du noch nicht für sicher hältst. Beantworten sie es nicht, so versuche sie zu uns her- überzuzichen, wie ich es mit drr tat. Auf diese Werse verständigen wir uns. Be- grisfen?"
„Ja."
„Gib acht, was ich tue, und schau auf die Spazierengehenden."
Ter „Wolf" schob den Zeigefinger zwischen seinen Kragen und Hals, als öb der Stoff ihn reibe und ließ ihn langsam von links nach reckits alerten, Dick beobachtete ihn genau