Frankfurt am Main
Sonntag, ss. Oktober 1914
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?ttfer aller Denken und Fühlen gehört in dieser großen Zeit den Brüdern im Felde und es gibt für die Daheimgebliebenen nichts Schwereres, als die Gedanken von den kriegerischen Ereignissen abzuwenden. Tie Vergangenheit scheint versunken, nur die Gegenwart lebt, und die Zukunft drängt sich in den einen Satz zusammen: „Wir müssen siegen und wir werden siegen!" Und doch ist es für uns Gebot, an den friedlichen Werken des Volkes weiterzuarbeiten. Tie deutsche Wissenschaft war eine unserer besten Waffen in der Welt draußen und sie soll es wieder werden. Darum ist uns die schlichte, dem Ernst der Stunde angepaßte E r ö f f n u ng der Frankfurter Universität mehr als ein Akt der Zweckmäßigkeit: sie wird uns zum Synibol für deutsches Wesen und deutsche Wissenschaft.
Was verleiht unserem Volke die Kraft des einmütigen Auf- stchens und Eintretens für die eine große Sache? Die Hingabe an die Idee. Für uns alle ist dieses Stück Erde, um das wir kämpfen, nicht nur der Boden, der uns Nahrung gibt; sie ist uns die Stätte, auf der wir im Dienste ewiger Werte wirken und streben. Es darf ohne Hochmut, mit dem berechtigten Stolze des Bekennens, ausgesprochen werden, daß es kein Volk auf der Erde gibt, bei dem alle Arbeit, auch die des Tages und der Stunde, so im letzten Grunde getragen wird von der Idee, die über diesen Tag und über diese Stunde hinausweist. WaS ist deutsche Tüchtigkeit, deutsches Pflichtgefühl denn schließlich anders alS jener Idealismus, der in der Arbeit noch etwas anderes sieht als eine nutzbringende Beschäftigung. Vielleicht sind wir nicht begabter als die anderen, und auch die anderen tun gewiß ihr Tagewerk gern und ohne Murren. Aber die Worte: Tagewerk und Pflicht haben bei uns einen besonderen Klang. Sie werden mit einer Innerlichkeit ausgesprochen, wie sie in der übrigen Welt für so unpathetische Dinge nicht gefunden wird. Und diese heilige Begeisterung für dieArbeit, die diese, über das Notwendige hinausgchend, immer neu belebt und stärkt, sie ist die tief im Volke schlummernde Wurzel dessen, was sich in der deutschen Wissenschaft als die Blüte eines selbstlosen Idealismus der Welt offenbart hat.
So ist es uns freudige Pflicht, an diesem Tage der Eröffnung der Frankfurter Universität, sie zu begrüßen als eine neue Stätte jenes Geistes, der dem Leben des Volkes, seiner Notdurft und Nahrung, erst den tieferen Sinn verleiht.
Man hat Frankfurt mit seiner stolzen Vergangenheit und verheißungsvollen Gegenwart in der Welt draußen Unrecht getan: man hat eine Eigenschaft der Stadt zu ihrem Wesen gestempelt. Sie galt als Handels- und Kaufmannsstadt, rein geistigen Bestrebungen abhold. Fachleute wußten zwar, daß hier Institute und Anstalten waren, von denen bedeutungsvollste Einwirkungen ausgingen und an denen wiffenschaftliche Arbeit im besten und reinsten Sinne getrieben wurde. Doch blieb dieses wiffenschaftliche Leben Frankfurts dem großen deutschen Publikum verborgen. Und es mag auch zugegeben werden, daß eine gewisse Hinneigung zu den materiellem Gütern dieses. Daseins, wie sie der Mainstadt eigen ist, jenem Urteil, wenn auch nur scheinbar, Berechtigung gab. lieber den bisherigen wissenschaftlichen und geistigen Besitz Frankfurts werden Berufene in dieser Festschrift der „Frankfurter Zeitung", die dem für die Geschichte der Stadt so bedeutungsvollen Augenblick gewidmet ist, Kunde geben. Denn wie es auch sein mag — als krönender Abschluß seiner wissenschaftlichen Vergangenheit oder als geistige Ergänzung des bisher mehr in Wirtschaft und Handel gipfelnden Lebens der Stadt — in jedem Falle wird die Universität ein bedeutungsvoller Faktor im Leben Frankfurts werden. Sie ist durch die Art ihrer Entstehung noch mehr innerer Besitz der Stadt als andere Universitäten, denn sie ist ein freiwilliges Geschenk opferfreudigen Bürgertums und es haftet ihr ein selbständiger, ein freiheitlicher Zug an.
Und so wünschen wir ihr zu ihrer Geburtsstunde. in der sich lautlos ihre Pforten den Lernbegierigen öffnen, ein Dasein, erfüllt von jenem Geiste, zu dem auch wir uns mit allen Deutschen in dieser schweren und großen Zeit noch leidenschaftlicher als sonst bekennen — von dem Geiste der Wahrheit, Opferfreudigkeit und Freiheit.
Der JlmverMtJranksurt zu ihrer Eröffnung.
Rückblick und Ausblick.
Von Tr. Franz Lldickcs.
Das Schicksalsjahr 1866, in welchem der seit langen Jahrzehnten und seit idem Jahre 1848 mit immer steigender Heftigkeit geführte Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland zu Gunsten Preußens entschieden wurde, zeitigte in Frankfurter Kreisen zugleich den Gedanken, als Ersatz für den Verlust des Bundestags und der mit ihm gegebenen deutschen und europäischen Stellung Frankfurts 'hier eine Universität zu begründen. Allein die Gegensätze in Deutschland waren zunächst zu groß und zu mannigfaltig, als daß eine Verwirklichung dieses Gedankens möglich gewesen wäre.
Fünfundzwanzig Jahre später unternahm dann der Schriftsteller und Stadtverordnete Otto Kanngießer, in einer 1892 erschienenen kleinen Schrift „Frankfurts Gegenwart und nächste Zukunft", den Gedanken von neuem anzuregen, indem er zugleich eine die bisherigen Universitäten ergänzende Ausgestaltung forderte und die Errichtung der Universität aus städtischen Mitteln für möglich erklärte.
Dieser Aufruf blieb indessen ohne Widerhall in den herrschenden Kreisen der Bürgerschaft. Wohl sprach man hier und da von der Notwendigkeit der Vermehrung der Bil- dungsgelegenheiten in Frankfurt. Allein feste Ziele mit einheitlichem Programm gelangten nirgends zur Bildung. Nur an einer Stelle machte diese Schrift nachhalligen Eindruck: bei dem im Januar 1891 neu eingetretenen Oberbürger-- meister. Und die Gunst der Umstände gestattete ihm ganz wider sein Erwarten, im Laufe kurzer Jahre den Weg za finden, der zur Bildung und auch bald zur Verwirklichung eines festen Universitätsprogramms führen sollte.
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Bis zum Ende der Freien Reichsstadt Frankfurt war die Stiftung des praktischen Arztes Dr. Johamt Christian Senckenberg der Mittelpunkt aller wissenschaftlichen Arbeit auf den Gebieten der Medizin und Naturwissenschaften gewesen. Das Ende der fteistädtischen Zeit mit ihren Erwerbs- und Niederlassungsbeschränkungen und die Ein- fühmng der Freizügigkeit hatten auch auf diesen Gebieten ' umgestaltend gewirll, da die nunmehr rasch einsetzende Ver- s mehrung, namentlich der ärmeren Bevölkerung, an Armcn- versorgung, Kranken- und Hospitalpflege stets wachsende Ansprüche an die städtische Verwaltung stellte.
So war denn im Jahre 1881 und in den folycnfc-cü \ Jahren an der Gartenstraße ein neues städtisches Krankenhaus entstanden, welches durch den Ausbau einer allen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechenden chirurgischen Wteilung im Jahre 1892 und durch den entsprechenden Ausbau der übrigen Abteilungen sich zu einem wissenschaftlichen Zentmm gestaltete und bald erhöhte Bedeutung gewann, als Staat und Stadt sich 1897 vereinigten, in engem Zusammenhang mit den Krankenanstalten hier für Serumforschung und experimentelle Therapie ein neues Institut zu errichten, das unter der Leitung von Professor Ehrlich bald Weltruf erlangen sollte. Der fernere Ausbau städtischer Spezialkliniken und die Errichtung weiterer wissenschaftlicher Institute aus gestifteten Privatmitteln sowie die Verlegung des Dr. Senckenbergischen pathologischen Instituts, dem die alten Räume zu eng wurden, schufen an dieser Stelle ein immer bedeutender werdendes medizinisches Zentrum, dessen Räume beute als ganz selbstverständlicher Sitz der neuen medizinischen Fakultät erscheinen.
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Für die übrigen Fakultäten der neuen Universttät konnte infolge einer seltenen Gunst der Umstände in kurzer Zeit gleichfalls, und zwar in dem neu erschlossenen Gelände an der Viktoria-Allee, ein neues wissenschaftliches Zentmm geschaffen werden. Die Senckenbergi^- Natursorschende Gesellschaft und der Physikalische Verein hatten sich in ihren auf dem Gelände der Dr. Senckenbergischen Stiftung errichteten Gebäuden sckion seit längerer Zeit wegen Platzmangels unbehaglich gefühlt und sich mit der Planung von Neubauten beschäftigt.
Ebenso war auch die im Jahre 1901 durch Zusammenwirken des Instituts für Gemeinwohl (Wilhelm Mer-
i 0 n) und der städtischen Behörden gemeinsam errichtete Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften schnell über die ihr in gemieteten Räumen zur Verfügung stehenden Arbeitgelegenheiten hinausgewachsen.
Es entstand nunmehr die grobe Gefahr, daß sowohl für die Gesellschaften, wie für die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften auf dem alten Senckenbergischen Gelände Neubauten hergestellt würden, welche wegen der Beengtheit des Raums und der dadurch gegebenen Unmöglichkeit späterer Ausdehnung eine völlig ungenügende, nur dem Augenblick dienende Lösung der Baufrage herbcigeführt hätten.
Da tauchte im Jahre 1902 der erlösende Gedanke aus, das ganze bisherige Dr. Senckenbergische Stiftungsgelände zu veräußern und an seiner Stelle an der Viktoria-Allee auf erweiterungsfähigem Gelände Neubauten sowohl für das naturhistorische Museum der Senckenbergischen Gesellschaft, die Unterrichtsanstalten des Physikalischen Vereins und die Dr. Senckenbergische Bibliothek als auch für die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften und die neugegründete, eng mit ihr verbundene Carl Christian Jügelsche akademische Lehranstalt für deutsche Literatur, Philosophie und Geschichte zu errichten und somit an dieser Stelle ein wissenschaftliches Zentrum, zugleich für die Natur- und Geisteswissenschaften zu begründen. Diese in den Jahren 1906 bis 1908 aufgeführten Bauten konnten dann durch Anbau einiger Flügel für die Hinzufügung einiger Institute und Anbau von Vorttagsräumen so erweitert werden, daß alle Fakultäten außer der medizinischen untergebracht werden konnten, als nach dem Tode von Frau Georg Speher der Plan gefaßt wurde, die bisher geschaffenen wissenschaftlichen Anstalten und Institute zu einer Universität zusammenzufassen.
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Der bisherige Rückblick auf die äußere Geschichte der wissenschaftlichen Anstalten, Kliniken und Institute unserer Stadt zeigt, wie die städtischen Behörden, die wissenschaftlichen Stiftungen, die gemeinsame Arbeit von Staat und Stadt im Verein mit außerordentlicher Opferwilligkeit der Bürgerschaft zusammengewirkt haben, um die Gesamtheit der Bauten zu ermöglichen, welche jetzt der Universität für ihren Betrieb zur Verfügung gestellt sind.
Es bedarf nur weniger Bemerkungen, um im Anschluß an die Entstchungsaeickiichte der Universitätsbauten die Besonderbeiten klarzulegen, welche unsere Universität auszeichnen. Während bei den übrigen deutschen Universitäten nur der eigentliche Unterrichtsbetrieb der Selbstverwaltung der in Fakultäten gegliederten Universitäten anvertraut ist, kommt bier als wertvolle Ergänzung hinzu, daß auch die-sonst'dem Staat obliegende Geldbeschaffung, für welche bier durchweg die Zinsen der für die Universität gestifteten Kapitalien in Betracht kommen, der Selbstverwaltung des Großen Rats und des aus ibm gebildeten Kuratoriums anvertraut ist. Da die Untversitätsbedüttnisse naturgemäß ständig wachsen und demnach auch eine ständige Vermehrung der zur Befriedigung dieser Bedürfnisse dienenden Geldmittel erforderlich ist, wird die Hauptsorge der Finanzverwaltung darauf gerichtet sein müssen, eine ständige Vermehrung der Einkünfte ins Auge zu fassen. Die Entwicklung der bestehenden und die Begründung neuer Institute wird wesentlich davon ab- hängen, ob und inwieweit der hochsinnige Geist unserer Bürgerschaft, der die zur Begründung der Universität erforderlichen außerordenttich großen Kapitalien in kürzester Frist zusammengebracht hat, auch fernerhin sich betätigen wird. Abgesehen davon aber wird es die wichtigste Aufgabe der Finanzverwaltung sein müssen, dafür zu sorgen, daß stets 'ein Tell der Vermögenseinkünste nicht alsbald zur Erweiterung des Unterrichtsbetriebs verwandt, sondern behufs dem- nächstiger Steigerung der Einkünfte zum Kapital geschlagen wird. Ein erheblicher Tell des Vermögens ist deshalb von vornherein zu solcher Verwendung zurückgestellt.
Wenn auch die eben genannte Finanzorganisation die bedeutendste Eigentümlichkeit unserer Universität ausmacht, so fehlt es doch auch im übrigen nicht an beachtenswerten Besonderheiten, welche sich auch im Unterrichtsbetrieb geltend zu machen haben werden. Im Universitätsvertrag ist die Fortbildung derer, welche ihre Universitätsbildung bereits ^geschlossen haben, schon hervorgehoben, und die Sencken- bcrgische Naturforschende Gesellschaft sowie der Physikalische Verein haben besonderes Gewicht darauf gelegt, im Univer-
sltätsvertrag ausdrücklich festzulegen, daß ihre bisherige Tätigkeit in der weiteren Verbreitung naturwissenschaftlicher Bildung durch die Universität keinerlei Einbuße erfahren darf. Ganz besondere Aufmerksamkeit aber verdient die unserer Universttät eigentümliche reich ausgestattete Fakultät für Sozial- und 'Wirtschaftswissenschaften, deren weiterer Arbeit es Vorbehalten bleiben wird, die Gedanken mehr und mehr zur Geltung zu bringen, welche bei Gründung der Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften maßgebend gewesen sind. Es ist auch Hoffnung vorhanden, daß das Institut für vergleichende Rechtswissenschaft, für das im Universitätsetat bereits Geldmittel vorgesehen sind, für diejenigen, welche mit den Prüfungen abgeschlossen haben, mehr und mehr die Wege finden wird, auf denen das Ziel der Weiterbildung am besten erreicht wird. Für die jungen Studierenden der Rechtswissenschaft aber darf der Erwartung Ausdruck gegeben werden, daß es den Professoren gelingen wird, durch geeignete Lehrmethoden rege Fühlung mit ihnen zu gewinnen, durch die von vornherein ihre Freude am Gegenstände geweckt und dauernd wachgehalten wird.
So liegt denn das Schicksal der neuen Universität int wesenllichen in den Händen ihrer Professoren. Ihnen gelten daher vor allem unsere Wünsche und Willkommengrüße.
Die Uuiverfilök und die llnlverWken.
Bon Prof. Tr. Heinrich Morf.
Die neue Universität Frankfutt beginnt ihr Werk bc! Friedens ohne eine jener Feiern, denen ein lautes Echo in der wissenschaftlichen Welt beschieden ist. Frankfurt würde sonst in seinen festlichen Räumen eine glanzvolle Versammlung vereinigt haben, aus deren Mund der Stadt und ihrer hohen Schule Glückwunsch und Huldigung reich entgegen- geklungen hätte. Aber die Zeit ist nicht dazu angetan. Feste zu feiern. Man geht still ans Werk, doch nicht weniger hoffnungsvoll.
In langen Jahren des Friedens ist diese neue Universität vorbereitet worden. Der Verfasser hat den Vorzug gehabt, während fast eines Jahrzehnts (1901—1910) in nächster Nähe Zeuge dieser vorbereitenden Arbeit zu sein, die inmitten einer opferwilligen Bürgerschaft von bedeutenden weitblickenden Männern geleistet worden ist zur Gründung einer Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften und zu deren Ausbau im Sinne einer Universitas littera- rum.
Was 1901 von der Stadt Frankfutt, dem Institut für Gemeinwohl und andern Stiftern als „Akademie" ins Leben gerufen und vorläufig in bescheidenen Räumen an der Börsenstraße untergebracht wurde, war von Anfang an bemfen, eine Universität zu werden. Die „Akademie" war von vornherein von universitätsmäßigem Geiste erfüllt. Von den acht Dozenten, die das erfte Kollegium — eine juristische, eine staatswissenschaftliche und eine philosophische Fakultät in iruce — bildeten, kam die Hälfte von Universitäten her. Nicht unter einen Direktor waren sie gestellt, sondern Rektoren ihrer Wahl stellten sie selbst reihum an ihre Spitze. Um die „Akademie" vor dem Schicksal zu schützen, ein Vortrags- Institut zu werden, wurde eine Habilitationsordnung erlassen. Freundlich, aber entschieden wurde von Anfang an alles abgewehtt, was etwa für später die Entwicklung zur Universität hätte gefährden können. Das Ziel der Universität leuchtete uns auf dem Wege unserer administrativen wie unserer Lehttätigkeit. Es leitete, auch unausgesprochen, Rektor und Kollegium nach dem Grundsatz: Tonjours v penser, jamais en parier. Und schon 1902 bestimmte die staatliche Unterrichtsverwaltung, daß den Studierenden der romanischen Philologie zwei Frankfurter Semester als Univec- sitätssemester angerechnet werden sollten. Das war ein bescheidener erfter Schritt zum fernen Ziel und führte zur Einrichtung philologischer Seminare, für die sich freigebige Gönner fanden.
Und auch als mit den Jahren die Rechte der „Akademie" und mit den Rechten ihre universitätsmäßigenAufgaben wuchsen, hat es ihr an solchen Gönnern nicht gefehlt. Reiften auch nicht alle Blütenträume, so kam uns doch eine Opferwilligkeit entgegen, die in den reichen Städten Deutschlands kaum ihresgleichen hat. Sie prunkte nicht, diese Opferwilligkcit;
Kranksuri und sein Aeruf in der Kulturgeschichte.
Von Fr«utz Nicffcl«
Es ist eine allmählich untief gewordene Wahrheit, daß die Kultur den Handelswegen nächgeht. Aber es schadet nichts, sich bisweilen daran zu erinnern. Sie gilt auch heute noch. Die es nicht waren, werden auch heute noch oft zu Kulturstädten von wegen ihres Handels. Eine Handelsstadt ist immer Kulturempfangs- und -ausgabestclle, und die geographische Richtung des Handels formt und färbt ihre Kultur. Der Verkehr, sonst ein Faktor zweiten Ranges, gewinnt auf die Gestaltung ihrer Kultur häufig größeren Einfluß als der erste und wichtigste, Blut und Rasse. So hat der Handel mit dem Orient die venezianische Kultur gemodelt, der mit Italien, besonders Venezien, die augs- burgische. Einer wenig kunstbegabten Rasse bringt natürlich auch der Handel keine künstlerische Kultur. Genua, für dessen Landstrich die scharfe florentinlsche Zunge das Wott prägte: „Mare senza pesce, montagne senza alberi, nomini senza fede e donne senza vergönn a", hat eine gewisse politische, aber kaum eine besondere künstlerische Kultur gehabt. Abgesehen von der Palast-Architektur hängt dott die Kunst fast nur von Blutsfremden, Rubens und Van Dyck, ab.
Wie wichtig ist dagegen für Venedig der Handel mit dem Orient geworden! Einer seiner großen Meister, Gentile Bellini, hat am Hofe Mohammeds II. gelebt und den Groß- herrn allem türkischen Brauch zuwider porträtiert. Und nicht bloß in den Gegenstandskreis der Kunst dringt zu seiner Zeit der Orient ein, sondern schon ftüher hat auf ihre Sprache erst Osttom, dann der islamische Orient eingewirkt, auf die Baukunst wie auf die Glut und Ueppigkeit der Malerei.
Aehnliches gilt für die Niederlande, vor allem Brügge und Gent, die in kommerziellem und kulturellem Personen- und Gütervettehr mit Italien, aber auch dem Oberrhein und dem niederdeutschen Küstenland leben.
Für die Entwicklung der Kultur in den deitt^-m Reichsstädten waren ihre Handelsbeziehungen gleichfalls ftuchtbar. Für Augsburg, wie gesagt, die venezianischen; für Nürnberg sowohl die italienischen, wie die zum Osten
I des Reiches und über das Reich hinaus, nach Böhmen, Ungarn, Polen (die Familien Dürer und Stoß!); Ulm steht mit Tirol und steht mit dem Rhein in engerem Verkehr; Köln mit den Niederlanden und mit den Hansestädten; Basel zumal mit dem Rheinland in seiner ganzen Längenausdchnung, mit der Freigrafschaft, Burgund, der Lombardei; Straßburg mit Ober- und Mittelrhein und Mainfranken und mit rj-'L-—"-'»*!,
Alle diese Städte umgibt ein mehr oder weniger weites Stammesumland mit kräftigem, bodenständigem Kunstbetrieb. Schicksalsvoller ist Frankfurt gelegen; als Grenz- und Torstadt; da wo Nord- und Süddeuttchland sich scheiden und wo das binnenlündische Mainfranken an die Völker- straße des Rheins und auf das raschere Blut der linksrheinischen Lande stößt, also zugleich an der Grenze von Ost- und Rheinftanken. Es bildet nicht den Mittelpuntt eines Kulturbezirks von ungebrochener Rasse, wie Ulm, wie Augsburg, wie Nürnberg trotz der nahen wendischen Stammesinseln, wie selbst Würzburg. Die Rassenentwicklung ist auf seinem Gebiet nicht viel anders verlaufen als auf dem jenseitigen Rheinufer. Die keltische Ureinwobnersckaft wurde (zeitiger übrigens als dort) von ftänkischen Stämmen nach Westen gedrängt, darauf sind römische Ansiedlungen vorwiegend zu militärischen Zwecken gekommen, bis nach verschiedenen länger andauernden alemannischen Votttößen bei dem Ausgang der Völkerwanderung doch die Franken das Feld behauptet haben. Auf deni linken Rheinufer bat. wie schon die vielen keltischen und römischen Ottsnamen zeigen, die keltische und die römische Besiedelung die Kultur des Landes gründlicher und nachhaltiger bestimmt. Immerhin besteht auch für Frankfurt noch eine gewisse, wenn auch entfernte Stammesvetterschaft zu Nordostfrankreich, was für die Triebttaft eingesenkter Kulturschößlinge sich öfter günstig erwiesen hat. Der Grenz- und Torcharakter Frankfurts als Ein- und Ausgang zu Ostftanken und zum Rhein, zum Norden und zum Süden Deutschlands schwächte seine Energie zu eigcnwüchsi- ger Kultur. In einer Grenzstadt schärst sich die Beobachtung und das Urtell oft auf Kosten der kulturellen Zeugungskraft. Das Bedürfnis nach geistiger Kultur, nach künstlerischer Ausschmückung des Lebens, das bei der Regsamkeit der eingeborenen Rasse, den klimatisch, wirtschaftlich und durch die landschaftlichen Reize der näheren und ferneren Umgebung so gesegneten örtlichen Verhältnissen unter dem steigenden Wohlstand rasch zunehmen mußte, war aber leicht von außenher zu befriedigen. Wan kann de» Stand und die
Bestandteile der Frankfurter Kultur im 14-, 15. und 16. Jahrhundert am besten bei der bildenden K u n st erkennen, von der zahlreiche Denkmäler heute noch vorhanden sind. Das Kunstbedürfnis der reichen Stadt war übrigens bei weitem zu groß, als daß es selbst unter anderen Umständen ganz aus Eigenem hätte bestritten werden können. Was ja in anderen Reichsstädten ebenfalls nicht ausschließlich geschah. Vielleicht traute man auch der Tüchtigkeit der einheimischen Künstler nicht genug, um ihnen wirklich wichtige Aufgaben zuzuweisen. Die Werke, die wir dank der Frankfurter Kunstforschung mit mehr oder weniger Sicherheit einheimischen Meistern, den Gliedern der Familien F h 0 l l oder Heß (Hasse) oder anderen zuschreiben, Dinge mittlerer Güte, sttafen das bescheidenere Verttauen in die Qualität der einheimischen Kunst nicht Lügen. Trotz des durch Dürers attige Verbeugung so ehrengeachteten Mattin Heß. Aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts hat Rudolf Jung eine Reihe von Künsttern und Handwerkern namhaft gemacyi, die für Frankfurter Kirchen gearbeitet haben. Es sind recht viele Auswärtige darunter, Baumeister aus Mainz, Maler aus Worms, Glasmaler aus Straßburg, Speyer und Mainz, Bildhauer und Bildschnitzer aus Worms; sogar einfache Handwerker. Noch stärker tritt der Anteil der ortsfremden Künstler an der Kunstübung hervor, wenn wir die ganz oder bruchstückweise erhaltenen größeren Altarwerke aus der Dominikaner- und der Karmeliterkirche im Historischen Museum mustern. Die Urheber stammen alle nicht von Frankfutt. Der große Passionsaltar rührt von dem Augsburger ättcren Holbein und seiner Werkstatt her, der Helleraltar teils von dem Nürnberger Dürer und den Seinigen, teils von dem Aschaffenburger (oder wenn man will: Mainzer) Grünewald, der Flügelaltar mit der Taufe Christi von dem Straßburger Baldung und seiner Werkstatt, der Sippenaltar von einem unbekannten Meister niederländischer Schulabkunft, der hier vielfach beschäftigt gewesen ist, dem sog. Meister von Frankfutt. Alle diese Altäre befanden sich bei den Dominikanern. Aus der Karmeliterkirche ist u. a. ein vielteiliges Altarwerk mit Karmcliterlegenden, gleichfalls von einem niederländischen Meister, gerettet worden. So gut wie ganz zerstött sind die umfangreichen Wandmalereien aus der Heiligen Geschichte, die 1514/15 Jerg Ratgeb von Schwäbisch-Gmünd für den Kreuzgang des Karmeliterklosters geschaffen hat. Endlich war entweder der sog. Hausbuchmeister selbst, ein nach der Rheinpfalz gelangter Schwabe (Sce- schwabe?) unbekönnftn Namens, oder seine Schule hier mit
Aufträgen bedacht worden. Das ist nur ein flüchtiger Ueber- blick über das erste Viettel des 16. Jahrhunderts. Im zweiten Viettel haben besonders der Nürnberger Hans Sebald Beham und der vernmtlich im Donaugebiet ausgebildete Konrad Faber von Kreuznach längere Zeit hier gearbeitet.
Eine noch frühere Aufnahme auswärtiger Kunst und Künstler, zu Ende des 13. und im 14. Jahrhundert läßt sich freilich (bis jetzt noch) nicht mit Namen und Urkunden, sondem nur stilistisch belegen. Aber mit dem ganzen Rheingebiet ist auch die Frankfutter früh- und hochgotische Baukunst und Bildnerei, sei es mittelbar, sei es ■ unmittelbar, der französischen oder auch der burgundischen Kunst zinspflichtig geworden.
Im 17. Jahrhundert färbt sich die Kunst in Frankfurt der allgemeinen Entwicklung gemäß und durch den Zuzug niederländischer Künstler niederländisch. Im letzten Drittel des 18., zu Goethes Jugendzeit, finden sich einheimische, kur- mainzer und hessendarmstädtische Künstler zu einer liebenswürdigen und behaglichen Kleinmaleret nahezu Frankfurter Stiles zusammen. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts hält sich Cornelius kurz hier auf, dann längere Zeit hindurch Philipp Beit, der als Vorstand der Städelschen Kunstschule im Frankfurter Kunstleoen und der Frankfurter Gesellschaft nicht ohne Bedeutung gewesen ist, wie Edward Steinle nach ihm; Schwind und Rethel ziehen durch. Hierauf kommt eine für die Frankfurter Malerei und dadurch mittelbar für weitere Kreise auf lange hinaus wichtige Periode: Frankfutter Maler beoeben sich zu Beginn der 60er Jahre in die Schule der französischen Kunst. Darüber existiert außer der wichtigeren inneren Beglaubigung durch die Werke selbst ein stattliches äußeres Dokument, Fantin Latours „Atelier aux Batignolles", das Manet mit seinen Freunden und Schülern, damnter dem Frankfutter Otto S ch o l d e r e r, darstellt. Der Aufenthalt C o u r b e t s in Frankfutt 1858 auf 1859 hat wenig andere Bedeutung gehabt, als dem Maler am Ende ein paar schöne Motive zu ^rrsmaften.
Man sieht, aus wie vielfältigen Elementen FrankfuttS künstlerische Kultur sich gebildet hat. Vom fttihen Mittelalter her bis in die Gegenwart drängen sich Künstler aller deutschen Stämme hier zusammen, süddeutsche meistens, vom Norden nur Niederländer und vielleicht Niederrhciner. . Die sehr hervorragende hanseatische Kunst scheint ausgeblieben zu sein; aber sie steht mit Oberdeutschland überhaupt in etwas einseitigem Verhältnis. Vom Ausland wirkt von Anbeginn