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Sie Senckenbergische N a t u r f o r s ch e n d e I Gesellschaft hält in ihrer ersten wissenschaftlichen Sitzung, Samstag den 27. Oktober 1906, eine Gedächtnis, feier für F r i tz S ch a u d i n n. Pros. Dr. H. N e i ch e n - buch, der älteste Dozent der Gesellschaft, wird dabei üb-r Sie Bedeutung Schaudinns für Zoologie und Medizin" , sprechen. Die Vorträge und Vorlesungen finden wegen der! Unfertigkeit des Neubaues wie bisher im großen Hörsaal j des alten Bibliothekgebäudes, Gr. Eschenheimerstr. 76, statt. j

X. Wissenschaftliche Sitzung der Senckeu- bergifchen Nairrrforfcherrden Gesellschaft.

Frankfurt a. M., den 27. Okwber 1906.

Vorsitzender Dr. phil. A. Jassoy.

Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung und erteilt zunächst Herrn Bürgermeister Geheimrat Dr. Varren- trapp das Wort, der Herrn Prof. Dr. F. Richters für seine langjährige, erfolgreiche Tätigkeit in Schule und Senckenbergische, Naturforschender Gesellschaft und be­sonders für feine zahlreichen, wertvollen Arbeiten über die niedere Fauna den Roten Adlerorden 4. Klasse über­reicht.

Der Vorsitzende bedauert dann in seiner Ansprache, daß' die Vorlesungen und Vorträge im kommenden Winter leider noch nicht, wie im Frühjahr erwartet worden ist, im neuen Museum staitfinden können. Das Gebäude ist zwar lmnlicherseits im ivesentlichen sertiggestellt, aber erst in diesen Tagen sind die Arbeiten znm Abschluß gelangt und nun niüssen zunächst die neuen Schränke, die allerdings, bei den beschränkten Mitteln der Gesellschaft bis jetzt erst zum kleineren Teil beschafft werden konnten, für die Sammlungen ausgestellt werden. Diese langwierige Arbeit wird den ganzen Winter über dauern.

Die Sammlungen selbst können daher kaum vor näch­stem Frühjahr in den Neubau verbracht werden, und da eine ersprießliche Lehrtätigkeit der Dozenten ohne Samm­lungen nicht denkbar ist, müssen eben auch die Vorlesungen zunächst noch im alten Haufe stattfinden. Nur einige frisch montierte Tiere, die v. Erlangerschen und Schillingsschen Giraffen, Zebras und einheimisches Wild, sind Ende Sep­tember in den Neuban überführt worden.

Die Mitgliedcrzahl ist von 773 im letzten Herbst auf 854 gestiegen, trotzdem der Tod zahlreiche Lücken gerissen hat. *

Der größte Verlust für die Gesellschaft ist der ihres korrespondierenden Mitgliedes Fritz S ch a u d i n n, der im jugendlichen Alter von 35 Jahren gestorben ist und an dessen Grabe die Zoologie- und Medizin der ganzen Kulturwelt trauert. S ch a >i d i n n hat vor Jahren um Dr. Römer gemeinsam eine kühne Forschungsreise ins nördliche Eismeer unternommen, deren Frucht, die Fauna, arctica, ein grundlegendes Werk für die Tier­geographie dieser Gebiete geworden ist. 1903 hat die Gesellschaft Schau din n für seine glänzende Arbeit über den Generationswechsel der Coccidien mit dem Tiede- mann-Preis ausgezeichnet.

Sie glaubt, den allzufrüh Verstorbenen nicht besser ehren zu können, als dadurch, daß sie den ersten Vortrag des Winters. leider nicht den ersten im neuen Museum, wie beabsichtigt war, den hervorragenden Arbeiten Schaudinns widme.

Hierauf hält Prof. Dr. H. Reichenbach den ango- kündigten Vortrag über:

,Dic Bedeutung Schaudinns für Zoologie und Medizin."

Am 22. Juni d. Js. wurde die Biologie von einem Verlust betroffen, den man ohne Uebertreibung als un­ersetzlich bezeichnen kann. Fritz S ch a u d i n n, der bahn­brechende Forscher auf dem Gebiete der Urtiere, insbeson­dere der krankheitserregenden, der noch zuletzt den lang- gesuchten Erreger der Syphilis entdeckt hatte, wurde in sei­nem 35.Lebensjahre vomTode ereilt. Redner hebt besonders den Jnhaltsreichtum seiner Werke hervor, die nicht selten in Form von vorläufigen Mitteilungen erschienen und bei allem gesicherten Tatsachenmaterial, das sie enthalten, eine weite Perspektive auf wichtige Ergebnisse eröffnen, die erst in der ausführlichen Arbeit ihre Erledigung finden sollten. Aus den nahezu 60 Veröffentlichungen Schaudinns werden einige wichtige Resultate näher beleuchtet. So die Entdeckung des Zerfalles der Joraminiferenkerne in Chro- nmimelemcnie . Chromidialsuostanz, die Entdeckung

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beiä Generationswechsels bei Wurzelfüßlern, die Besruch- tungs- und Teilungserscheinungen, sowie die Feststellung der Entwickelungskreise von.Sonnentierchen und Amoeben, bei welch letzteren er bereits Flagellatenstadien nachgewie­sen hatte. Der Vortragende erwähnt sodann die bahn­brechenden Untersuchungen Schaudinns über Tricho- sphaerium und über den Generationswechsel der Coecidien. Ueber diese wurde bereits früher ausführlich berichtet, da die Senckenbergische Gesellschaft ani 10. März 1903 der Coccidienarbeit den Tiedemann-Prcis zuerkannt hat. Durch beide Untersuchungen wurde insbesondere das Ma­laria-Problem seiner Lösung entgegengeführt. Das Inter- esse der medizinischen Welt an diesen Ergebnissen steigerte sich und S ch a u d i n n wurde im Aufträge des Kaiserlichen Gesundheitsamtes nach Rovigno geschickt, um dort weitere Protozoen-Studien zu machen. Während seines Aufent­haltes in Rovigno entstanden nun wichtige Arbeiten, so über die perniziöse Enteritis des Maulwurfs- er beobach­tete das Eindringen der lebendigen Malariaparasiten in die roten Blutkörperchen und suchte die Malariarezidivc zu erklären; an Wurzeltierchen und Darm-Amoeben, deren Entwicklung er zum Teil feststellte, bemühte er sich die Scheidung von somatischen und prppagatorischen Kernsub- sianzeiwfChromidienj zu erweisen und vieles andere.

Wohl die bedeutendste seiner damaligen Arbeiten ist die Feststellung des Generations- und Wirtswechsels zweier im Blut der Eule lebenden Protozoen. Gelang ihm doch der Nachweis, daß von diesen Parasiten Stadien durcy- lausen werden, die er alsTrypanosvmen- undSpirochaetcn- fornien bestimmen konnte, was nicht nur von theoretischer, sondern auch von praklischcr Bedeutung ist, da ja diese Formen Erreger von schweren Krankheiten des Menschen und der Tiere sind. Die Tragweite der beinahe lückenlosen Ergebnisse des fraglichen Werkes ist also gar nicht zu er­messen. Als Leiter der neu gegründeten Abteilung für Protistenkunde im Reichsgesuiidheiisomt bestätigte er die so sehr bezweifelten Befunde von Looß über die Ein­wanderung des Gotthardwurms in den Menschen, und im Frühjahr 1905 gelang es ihm, im Anschluß an seine Spirochaetenstudien den Erreger der Syphilis zu entdecken. Sein letztes Lebensjahr widmete er dem' Institut für Schiffs- und Tropenhygiene zu Hamburg, wo er einer tückischen Darmerkrankung erlag.

Um einen Begriff von der Sorgfalt, der Umsicht und dem weiten Blick des feinsinnigen Forschers zu geben, der mit intuitiver Gewalt und großem Kombinationstalent der Natur die schwierigsten Geheimnisse entriß, geht Redner auf einige Teile der Trypanosomenarbeit näher ein. Er schildert die Einwanderung des Parasiten aus der Eule in seinen Zwi'chenwirt, die Stechmücke, die beim Blut- Zangen erfolgt, die außerordentlich verschiedenen und er­giebigen Vermehrungsarten, die Wanderung und Ver-, mehrung in der Mücke bis zur Infektion der Eule durch einen neuen Stich u. a. Van besonderem In- icresse ist die Entwicklung der beweglichen Formen '(Trypanosomen) aus den weniger beweglichen, sowie die Infektion der Mückeneier, sodaß also bereits die Larve und Puppe die Parasiten enthalten kann, die dann durch frisch ausgesHlüpste Mücken nach kurzer Zeit auf den Vogel übertragen werden-

Ein Meisterwerk feiner biologischer Beobachtung bilden ferner die Darstellungen des anatomischen Baues der Mücke und b«Fesistell»ng der physiologischen Vorgänge beim Stechen,saugen. Verdauen, soweit sie fiir das Leben des Parasiten von Bedeutung sind. Es gelang umer an- lerem der Nachweis von Gärungspilzen in den Magen­säcken der Mücke als ständige Gäste, die ebenfalls durch Uebertragung auf die Mückeneier vererbt werden. Durch die Entwicklung von Kohlensäure beim Lebensprozeß dieser Pilze wird das Gerinnen des von der Mücke aufgenommc. nen Blutes eine Zeitlang verhindert und so das Weiter­leben der Trypanosomen ermöglicht. Durch das in den Pilzen enthaltene Enzym entsteht die Giftwirkung des Mückenstiches und ein vermehrter Blutzufluß beim Sau- gen- Es wird dann noch die Wanderung der Trypaiw- svincn in der Mücke und der Uebertragnngsvvrgang beim Stechen erörtert.

Der Vortragende geht dann noch kurz aas die Aus­blicke ein, die Schaudinn am Schluß seiner Abhand- limg auf 'die hier in Betracht kommenden parasitären Er­ik ranku,wen eiöatert, lme Schlafkrankheit, Reknrrenz- fteber, Gelbes Fieber, Malaria u. a. Mit Sch and in n ist nicht nur ein Heros der Wissenschaft, sondern auch ein