Frankfurter Kachrichlen, Ireitai, deu «3. Mär? 1903

Wissenschaftliche Sitzung der Sencken- bergischen Naturforschenden Gesellschaft.

Frankfurt a. M., den 10. März 1903.

Vorsitzender: Dr. med. 21 u g u ft Knoblauch.

In dem mit der Büste Friedrich Tiedemanns und mit frischem Grün geschmückten Saale eröffnet der Vorsitzende die Festsitzung, die der Erteilung des Tiede mann-Preises gewidmet ist, mit einem rui> zen geschichtlichen lieber blick.

Friedrich Tiedeniann, geboren 23. August 17H1 zu Kassel, studierte seit 1798 in Marburg, Würzbur'g und Paris und ward 1806 Professor der Anatomie und Zoologie in Landshut, 1816 Professor der Physiologie und Anatomie in Heidelberg. Schon in den ersten Jahren nach Gründung der Senckenbergischen Natur, forschenden Gesellschaft, am 14. Juni 1820 wurde er zum korrespondierenden Mitglieds derselben ernannt und ist seitdem bis zu seinem am 22. Januar 1861 in München, erfolgten Tode in engen Be­ziehungen zu der Gesellschaft geblieben. - Ende 1849 zog sich T i e d e m a n n von dem akademischen Lehramte zurück, nachdem im badischen Aufstand sein ältester Sohn G u st a v Nikolaus als Kommandant von Rastatt am 11. August 1849 standrechtlich erschossen worden und seine beiden jüngeren Söhne mit Weib und Kind nach Amerika ge­flüchtet waren. Er siedelte nach Frankfurt über und hat hier Ruhe und Trost in seinem Leid in dem wissenschaft­lichen Verkehr mit den ausgezeichneten Männern der Senckenbergischen Gesellschaft, einem Spieß, Mappes, Varrentrapp, Lucae u. a. gefunden.

Als auf Anregung der Gesellschaft am 10. März 1854 das fünfzigjährige Doktorjubiläum Tiede- Manns von den Gelehrten ganz Europas hier im ..Holländischen Hof" gefeiert wurde, ist dem Jubilar eine Medaille in Gold, Silber und Bronze überreicht und' gleichzeitig zu seinem Gedächtnis der T i e d e m a n n - Preis gestiftet worden.

Die Medaille, von Eduard von der Launitz modelliert und von C. F. Voigt in München vortrefflich ausgeführt, trägt auf der Vorderseite das Bildnis Tiede manns mit der Umschrift Fridericus Tiede- rnann, rat. d. XXIII. Aug. MDCCLXXXI und aus der Kehrselle einen Seestern als Hinweis aus eine seiner ersten epochemachenden Arbeiten, auf die im Jahre 1812 von dem Institut de France gekrönte Preis­schrift über die Anatomie der Röhrenholothurie, des pomeranzfarbigen Seesterns und des Steinseeigels mit der Umschrift Viro de augenda naturae scientia per X iustra egregie merito sodales. Francof. a. M. d. X Mart. MDCCCLIV. Durch eine im Jahre 1875 notwendig gewordene Neuprägung der Medaille wurde der Reversstempel unbrauchbar, so daß bei einer aber- , maligen Prägung im Jahre 1895 ein neuer Reversstempel ! mit dem Seestern von dem königlichen Medailleur Börsch ' in München angefertigt werden mußte.

Seit 1875 ist der Preis, der aus 500 Mark und der Medaille in Silber besteht, regelmäßig alle vier Jahre am 10. März, an dem Tage der Promotion Tiede- manns für die ausgezeichnetste Arbeit aus dem Gebieie der vergleichenden'2lnatomie und Physiologie einem deut­schen Forscher zuerkannt worden. Sieben Gelehrte.sind

also bis jetzt im Besitz des Preises: Hermann von Meyer, Otto Bütschli, Robert Koch, Paul Ehrlich, Emil Fischer, Emil Behring und

Der Preis kommt heute, 99 Jahre nach dem Tage der Promotion Tiedemanns, zum achten Male zur Ver­leihung. Die Preiskommission besteht aus den Herren Prof. Drs. Edinger, Lepsius, Möbius, Reichenbach und Weigert.

Als Vorsitzender der Kommission berichtet zunächst Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Weigert über eine Anzahl ein­schlägiger Arbeiten, welche die Kommission in mehreren Sitzungen eingehend besprochen hat. Sodann übernimmt Prof. Dr. Reichenbach das Referat über die preisge­krönte Llrbeit.

Der für das Jahr 1903 zu erteilende Tiedemannpreis wlirde der Abhandlung mit folgendem Titel zueckannt:

Untersuchungen über len' Generations- Wechsel bei E o c c i d i e n. (Zool. Jahrbücher Bd. 13, 1900.) Von Dr. Fritz Schaudinn, Privaidozent an der Universität Berlin, gegenwärtig vom Reichsgesundheitsamt mit der Malariaforschung an der Adria lRoviguo) be- auftragt.

Die Coccidien, über die die erste grundlegende Llrbeit von dem Frankfurter Arzt und Stadtphysilus Dr. Kloß im Jahre 1855 in dem I. Band der Abhandlungen der! Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft erschienen ist, gehören zu den niedrigsten Lebewesen, den Sporcntier. chen (Sporozoa) und sind am nächsten mit den Gregarinen und den Malariaparasiten verwandt. Eine bekannte Art lebt in der Leber des Kaninchens, von dem sie nicht selten auf unsere Haustiere und auf den Menschen übergeht und oft genug große Verheerungen anrichtet. Lindere Gat­tungen leben in Vögeln, Amphibien und anderen Tier­stämmen.

Durch Schaudinns Untersuchungen wurde nun bei diesen einfachsten Lebewesen eine geschlechtliche und eine unge­schlechtliche Vermehrung mit vollkommenem Generations­wechsel nachgewiesen, wobei Befruchtungsvorgänge, Zell- teilungen und zahlreiche wichtige Einzelheiten zur Beobach­tung und Erörterung kamen.

Hierdurch ist es nun möglich geworden, über diese ver. heerenden Parasiten leichter Herr zu werden; außerdem, aber haben die Ergebnisse der in Rede stehenden Arbeit ein helles Licht auf die Malariaforschung und auf die Er­forschung der Urtiere überhaupt geworfen und bereits reiche Früchte gezeitigt, sodaß sie in praktischer Hin- sicht von Bedeutung ist.

Bon großem Wert sind die Resultate der Schaudinnschen Arbeit aber auch in theoretischer Beziehung Ist doch die Erkenntnis, daß bei diesen scheinbar einfachen Lebewesen ein Generationswechsel mit geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Vermehrung, mit vollkommener Anpassung an die parasitische Lebensweise, die der bei Parasiten höherer Tierstämme vollständig parallel läuft, mit Befruch­tungserscheinungen, die zwar der Hauptsache nach denen bei höheren Tieren entsprechen, aber doch wieder bedeut­same Abweichungen erkennen lassen, von außergewöhnlicher Wichtigkeit für die ganze Biologie.

Es ergibt sich die fundamentale Wahrheit, daß die wichtigsten biologischen Prozesse bereits Errungenschaften der Einzelligen sind, die eine solche Mannigfaltigkeit zeigen, daß Uebergänge zu den höheren Tieren und etwaige Ab­leitungen als nicht mehr möglich erscheinen.

Der Vorsitzende verkündet unter lebhaftem Beifall der Versammlung, daß auf einstimmigen Vorschlag der Kom­mission der diesmalige Tiedemann-Preis Herrn Dr. Schaudinn zuerkannt worden ist und schließt hier-! auf die Festsitzung niit einem Dank an die Kommission und ihre Berichterstatter.