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Georg Hermann von Meyer f.

Wer in den letzten drei Jahren _ die wissenschaftlichen Sitzungen der Senckenbergischen naturforschenden Gesellschaft besuchte, dem mußte ein regelmäßiger Besucher, ein Mann im Greisenalter mit freundlichem Gesichte und lebhaften Augen auffallen, der gespannt den Vorträgen lauschte oder selbst vom Katheder aus mit jugendlicher Begeisterung die Ergeb­nisse seiner Forschung mittheilte und an Präparaten oder schnell hingeworfenen Kreideskizzen erläuterte. Dieser Mann war Georg Hermann von Meyer, Dr. med., vormals o. Professor der Anatomie in Zürich.

Im Jahre 1875 hatte die Senckenbergifche naturforschende Gesellschaft die Freude, ihm für seine hervorragende Abhand­lungStatik und Mechanik des menschlichen Knochengerüstes" den Lorbeerkranz in Gestalt des ersten zu vergebenden Tiedemann- preises zuzuerkennen. Heute liegt der Gesellschaft die traurige j Pflicht ob, ihm einen Abschiedskranz zu weihen. Am Donnerstag, den 21. d. Mts., ist Professor von Meyer den Folgen einer Influenza erlegen.

Der Heimgegangene war ein Frankfurter Kind. Er wurde am 16. August 1815 geboren. Nach Absolvirung des hiesigen Gymnasiums begab er sich, 18 Jahre alt, zum Studium der Medizin nach Heidelberg. Hier war es be­sonders der Anatom und Physiologe Tiedemann, der be­geisternd auf den Jüngling wirkte. 1836 besuchte er die Universität Berlin, allwo der durch seine physiologischen und vergleichend anatomischen Forschungen berühmte Johannes Müller ihn vor allen andern Lehrern anzog, und woselbst er auch promovirte. Im Jahre 1840 ließ er sich als Privatdozent in Tübingen nieder, und 1844 folgte er einem Rufe nach Zürich, zunächst als Prosektor; nach kurzer Zeit jedoch wurde ihm die Professur für Anatomie übertragen.

Bon seinen vielen literarischen Arbeiten wollen wir nur seinLehrbuch der Anatomie", seine obenerwähnte preisge­krönte AbhandlungStatik und Mechanik des menschlichen Knochengerüstes",Unsere Sprachwerkzeuge und deren Ver­wendung zur Bildung der Sprachlaute",Der Mensch als lebender Organismus" hervorheben. Eine erschöpfende Auf­zählung seiner Arbeiten wird an anderer Stätte erfolgen. Von seinen populär-wissenschaftlichen Veröffentlichungen hat besonders die Abhandlunglieber die richtige Gestalt des Schuhes" großen Beifall gefunden und wesentlich zu einer rationellen Anfertigung der Fußbekleidung beigetragen.

von Meyer war ein treuer Sohn seiner Vaterstadt ge­blieben. Als er sich 1889 von seiner erfolgreichen Lehr- thätigkeit in Zürich zurückzog, wählte er Frankfurt zum Aufenthalte seines Lebensabends; aber auch hier rastete er nicht, sondern forschte unermüdlich weiter nach Neuem und suchte sein tiefes Wissen und seine reiche Erfahrung zum Besten seiner Vaterstadt zu verwerthen. Noch im verflossenen Winter hat er mehrere Vorträge in der Senckenbergischen naturforschenden Gesellschaft, gehalten und einen Kursus für Aerzte angekündigt.

Möge ihm die heimathliche Erde, die er so sehr liebte, leicht werden! Die mit ihm in Beziehung zu treten das Glück hatten, werden ihm ein freundliches und dankbares Andenken bewahren.

Aus der Nähe.

Limburg a. d. 8., 23. Juli. Die hiesige Stadt wird mit elektrischem Licht und elektrischer Kraft versehen, «dem eine in etwa 2 Kilometer Entfernung von der Stadt

gelegene Wasserkraft, welche bislang zum Betrieb der Mühlen der Herren Mulot & Thiriot diente, ausgenutzt wird. Die Ausführung der Anlage geschieht durch die Kommanditgesell­schaft W. Lahmeyer & Co. in Frankfurt a. M., während die Aktiengesellschaft für den Bau und Betrieb elektrischer Anlagen" ebendaselbst den Betrieb der Zentrale übernimmt. Die letztere Firma hat ein ausschließliches Monopol für die elektrische Energieversorgung der Stadt Limburg auf 20 Jahre erhalten

Der Tod des Herzogs von Reichstadt.

ImN. W. Tgbl." veröffentlicht Max Hnybensz mit Benutzung bisher unveröffentlichter Aufzeichnungen Folgendes über den Tod des Sohnes des ersten Napoleon:

Vor sechzig Jahren am 22. Juli 1832 in früher Morgenstunde, verschied im Schlosse Schönbrunn der Herzog von Reichstadt. In der Reihe unglücklicher Fürstenkinder, welche die Geschichte aufweist, wird immer jenes Kind zu nennen fein, das von dem Schicksale bestimmt schien, den ersten Thron Europas einzunehmen, und das entfernt von seinem Vaterlande, wo zu derselben Zeit der Name des Vaters geächtet war, in der Fremde starb. Als elf Jahre früher sich auf der Insel Sankt Helena ein Grab über dem berühmtesten der Feldherren schloß, sagte Ludwig XVIII. zu dem Herzoge von Blacas:Der moderne Riese ist todt, aber der Ruhm bleibt seiner Asche!" Wie anders, als der Sohn des großen Kaisers starb; die Wiener erfuhren erst am folgenden Tage die Todesnachricht; im Auslande erregte die traurige Kunde mehr menschliche Theilnahme als politisches Interesse; nur in Frankreich spiegelte sich in der durch die Juli-Revolution frei gewordenen Presse der Eindruck, welchen die Nachricht in der bonapartistischen Partei hervorrief.

Das Datum des 22. Juli war für den Sohn Na- poleon's I. von verhängnißvoller Bedeutung. Am 22. Juli 1818 erfloß jene Entschließung des Kaisers Franz, durch welche der Prinz des bisherigen, freilich längst imaginären Titels des Königs von Rom entkleidet und als Prinz Franz Josef Karl Herzog von Reichstadt, mit dem Prädikate Durch- lailcht und dem Range unmittelbar nach den Prinzen des kaiserlichen Hauses und Erzherzogen von Oesterreich einge­führt wurde. Genau auf den Tag, vierzehn Jahre später, fand der Prinz die Erlösung von dem .qualvollen Leiden, welches ihn in der Jugendblüthe dahinraffte. In den adeligen Kreisen Wiens, wo man von den Vorgängen am kaiserlichen Hofe in Kenntniß war, bestand schon lange vor dem Tode des Prinzen kein Geheimniß darüber, daß es mit der Gesundheit des Herzogs von Reichstadt übel stehe. Obwohl weder in der Familie Bonaparte noch in der Familie seiner Mutter Lungenleiden vorkamen, scheint sich der Prinz den Keim des Hebels durch übermäßige körper­liche Anstrengungen erworben zu haben. Der Schreiber dieser Zeilen hatte Gelegenheit, in Aufzeichnungen Einsicht zu nehmen, welche eine schon vor Jahrzehnten aus dem Leben geschiedene Person hinterließ, die sich mehrere Jahre in der Umgebung des Prinzen befand. Manches aus diesen Auszeichnungen ist trotz der verstrichenen langen Frist auch heute noch nicht zur Veröffentlichung geeignet; anderes bietet mannigfaches Interesse für weitere Kreise. Die hervor­ragendsten Züge in dem Charakter des Prinzen bildeten Eigensinn und Willenskraft, Eigenschaften, die er wohl von dem Vater ererbt hatte. Gemildert und verschönert wurden diese Charakterzüge durch lebhaften Ehrgeiz, einen nicht geringen Bildungstrieb und ost

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