Wissenschaftliche Sitzung der Senckenbergischeu naLursorschenden Gesellschaft am 5. Dezember 1891.
Anknüpfend an das verlesene Protokoll, in welchem sich auch einige herpetologische Mittheilungen des Sektionärs Herrn Dr. Oscar Boettger verzeichnet fanden, bemerkt der Vorsitzende, Herr Professor Dr. Noll, daß Herr Dr. Boettger von der Regierung in Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen zum Professor ernannt worden ist.
Ferner bemerkt der Vorsitzende, daß er gerne die Gelegenheit der heutigen wissenschaftlichen Sitzung benutze, um an die erste öffentliche Sitzung im Museumsgebäude zu erinnern. Dieselbe fand am 22. November 1821 statt, also vor sieben- zig Jahren. Das Heranwachsen der Gesellschaft aus kleinen Anfängen, das stetig zunehmende Interesse von Seiten der Bürgerschaft in diesem langen Zeitraum lassen ein immer schöneres Gedeihen auch für die Zukunft erhoffen.
Ausgestellt sind eine stattliche Anzahl von Säugethieren und Vögeln, welche dem Museum, zum weitaus größeren Theile als Geschenk, innerhalb der letzten zwei Jahre von der Neuen Zoologischen Gesellschaft zugegangen sind. Der Zoologische Garten bietet somit der Stadt reiche Belehrung nicht allein in ihren lebenden Thieren; auch nach ihrem Tode bilden die letzteren ein vorzügliches und sogar dauerhafteres Unterrichtsmaterial, sei es in ausgestopster Form, oder als Skelett oder in anderweitigen Präparaten. Die' Senckenbergische Gesellschaft ist der Neuen Zoologischen Gesellschaft für die werthvollen Geschenke zu großem Danke verpflichtet.
Herr Dr. med. L. Edinger hielt den angekündigten Vortrag:
heutigen Stand unserer Kenntnisse vom feineren
Bmr^des Zentralnervrnsystemes nnd besten Bedeutung für die Psychologie."
. Aufgabe der Psychologie ist die Erforschung der Bewußt- feinsvsegange im weitesten Sinne. Speziell sucht die Wissen schaft zu erforschen nach welchen Gesetzen sich diese Vorgänge abspielen und in letzter Linie sucht sie zu ermitteln wie und durch welche Vorgänge das Seelenleben zu Stande kommt.
3u verschiedenen Zeiten hat man nicht nur die Ausgaben verschieden gefaßt, sondern namentlich auch sehr verschiedene Wege der Forschung betreten.
Die Zeit, da man vermeinte lediglich aus methaphysischen Anschauungen, unabhängig von der Erfahrung eine soge- . nannte rationale Psychologie schaffen zu können, ist glücklich vorüber. Mit dem Anftchwung der exakten Naturwissenschaften hat man erkannt, daß auch hier ein Gebiet vorliegt, welches der Beobachtung zugängig ist. Man hat eingesehen, daß für die Erkcnntniß Nichts gewonnen ist, wenn es gelingt die Stellung der Seele in irgend einem System des Weltganzen zu plaziren und nun aus den für jenes erschlossenen Gesetzen eine Seelenlehre detuktiv aufzubauen.
Es hat eine Reaktionszeit gegen diese Art von Psychologie gegeben, eine Zeit des leichtsinnigsten Materialismus, die sehr zu beklagen ist. Mit dem außerordentlich Wenigen was über den Bau und die chemischen Verhältnisse des Gehirnes damals bekannt war, glaubte man auskommen zu können für eine Erklärung aller psychologischen Vorgänge auf rein naturwissenschaftlichem Wege. Nicht nur die spekulativen Philosophen, auch die ernsten Naturforscher mußten sich von einer solchen Richtung imbefriedigt fühlen, einer Richtung, die überall da fertiges sah, wo die Arbeit ernst zu beginnen hatte. Ein Antizipiren von Forschungsresultaten und ein Hantiren mit dem so unsicher Erreichten wird immer als unnaturwisfenschaftlich gelten.
Diese Art materialistischer Auffassung spuckt leider noch immer in den Köpfen vvn Halbgebildeten. Sie ist die verwerflichste Richtung in der Psychologie weil sie in dem zufriedenen Gefühl des Abgeschloffenhabens den Fortschritt hindern könnte. Sie ist es auch, die. in einem ganz überflüssigen Kampfe gegen die herrschenden theologischen Anschauungen, einem Kampfe, der Nichts hier zu thun hat, weite Kreise verhindert hat an das exakte Studium seelischer Vorgänge heranzutreten. Gerade diese absolut materialistische Richtung hat als Antwort eine Art mystische Psychologie wieder neu erweckt.
Me echte Natursorschung ist bescheidener. Die moderne Psychologie. die entstanden ist mit dem Reifen der exakten Naturwissenschaft, eine beobachtende Wissenschaft wie andere Zweige der Naturwissenschaft, sagt nicht mehr als sie ihrer Erfahrung zufolge crussagen kann. Es giebt im Wesentlichen zwei Richtungen in ihr. Eine Anzahl von Psychologen ist noch immer den Banden der reinen Philosophie nicht so weit entflohen, daß sie voraussetzungslos an ihre Aufgabe herantreten. Für sie unterscheiden sich die psychischen Prozeffe von allen anderen, die wir in der Natur beobachten, durch ihre Jm- materialität. Deßhalb verzichten sie von vornherein darauf nach der Ursache, nach dem Wesen dieser Prozeffe zu suchen. Sie begnügen sich damit die Erscheinungen des Seelenlebens zu studiren, zu analhsiren, sie in ihre Komponenten zu zerlegen soweit immer möglich.
Dann giebt es eine Schule, die einfach beobachtet, sich weder Grenze noch weitestes Ziel setzt, echte Naturforscher die nur in ganz kleinen Stücken die Synthese ihrer Beobachtungen zu ziehen wagen, Forscher, die erkannt haben wie weit wir noch von der Möglichkeit einer Erklärung entfernt sind, sich aber durch kein philosophisches Raismnnement diese Möglichkeit wegdisputiren lassen. \
Da beide Richtungen zunächst ihr Bestreben darauf richten, die Gesetze psychischen Geschehens zu ermitteln, so arbeiten sie augenblicklich nach den gleichen Richtungen mit den gleichen Methoden. Der Fortschritt des Wissens wird sie einen.
Die Methoden, deren sich die Psychologie bedient, sind sehr mannigfaltige. Ninnnt man den Standpunkt ein, daß die wichtigste Aufgabe der Psychologie als einer Statur- Wissenschaft die ist, die Ursache des Geschehens zu ermitteln,
! so erscheinen manche von ihnen als solche, die kaum zum Ziele führen dürften. Der positive Nutzen, den die an sich ja so interessante „Völkerpsychologie", den die „Sprachforschung" geschaffen, liegt auf anderen Gebieten. Noch ist bei der Analyse von „Geistesthätigkeiten in gesteigerten oder abnormen Zuständen", bei den Untersuchungen über die „Seelenentwicklung", bei der Analyse von dichterischen und historischen Gestalten herzlich wenig herausgekommen, was dem angedeuteten Endziele näher führte. Alle diese Methoden werden eifrig gepflegt, ihr Nutzen liegt nur nach einer anderen Seite, darüber muß man sich klar sein.
Viel wichtiger können Beobachtungen am möglichst vereinfachten Objekte werden. Solche versucht die Selbstbeobachtung zu schaffen, solche vereinfachten Verhältnisse erzeugt namentlich die experimentelle Psychologie und die physiologische Psychologie. Das Experiment gilt hier wie in jedem andern Zweige der Naturwissenschaft. Es läßt sich anstellen und wird eifrig betrieben.
Schon sind wir unterrichtet über die zeitlichen Vorgänge bei möglichst einfachen Deukprozessen, schon sind einfache Gesetze für Empfinden, für Unterscheidungsvermögen rc. gefunden. Die psychologische Untersuchung von Menschen, denen durch Erkrankungen Hirutheile ausgefallen waren, hat ' es ermöglicht, nicht Weniges der Erklärung näher zu führen. Redner geht hier auf die Sprache ein, von der jetzt bekannt ist, daß sehr verschiedene Hirntheile intakt fungiren müssen, damit sie richtig zu Stande komme. Er erörtert die Bilder, welche entstehen, wenn einzelne Funktionen aussallen. Worttaubheit, Wortblindheit rc.
Es erhebt sich die Frage, wie weit die Anatomie hier voranhelfen kann. Wenn es gelänge auch nur für einen einzigen Vorgang eine befriedigende anatomische Unterlage zu finden, so wären wir nicht schlechter daran als es vor kurzem noch der Elektrotechniker war. Der kannte auch die Leistungen seiner Maschine und deren Bau, was aber Elektrizität ist, das hat er erst in den letzten Jahren erfahren. Redner ist übrigens entfernt davon für die Seelenerscheinungen selbst so grobe mechanische Verhältnisse zum Vergleich heranziehen zu wollen.
Mr Vortragende erläuterte nun an den anatomischen Ein-c richtungen, welche der Innervation der Bewegung zu Grunde liegen, daß in der That hier ein Mechanismus gegeben iftff der sehr wohl das leisten kann, was wir als Wirkung dh blicken. ©