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Mittwoch, deu 13. A>rLl
1870 .
Lorbeer und Myrthe.
Novelle von Julius Grosse.
(Krisch»-,«.)
„Ich bitte Sie, Mister-, warf Frau von Birkenstein ei», „be- schlrumgen Sie, was Sre mir zu ssgen haben, und sparen Sie Ihre Schwärmerei für Europa auf eiue andere Zeit.
„Wie soll ich das in wenig Worte fassen, was ich Ihnen zu sagen habe? Doch Sie haben zu befehlen, Mylady. Vielleicht ge- nügen einige Andeutungen. Ausgedehnte Gründe in Virginten sind wem Eigenthum. Mein Vater besitzt außerdem noch Plantagen in der Havana und mein Großvater befrachtet jährlich seine zwölf Schiffe in Baltimore. Und trotz alledem — was ist aus mir geworden? Nichts als ein Rowdte, ein Loafer, ein unnützer, lebensmüder Marsch, der an nichts mehr Geschmack ftubet, weil er Alles haben kann, und der doch Eines entbehrt: ein weibliches Herz, eine mllde Hand, ein treues Auge. Ja, Mylady, ich war manche Saison in Paris und London, in Nizza und in Neapel und soitst auf dem großen Weltmarkt der Weiber — ich Hube nichts gefunden, was mich feffeln konnte, bis ich nach Deutschland kam und hierher."
„Richtig-, dachte der Baron, „jetzt schwenkt er auf sein Ziel los."
»Ich höre Ihre Erklärungen, Mister", sagte die gnädige Frau, und ihre Stimme bemühte sich, einen schmelzenden Ton anzunrh- wen. „Ich bin eine arglose und vertrauende Natur. Erlauben Sie mir dchhalb, Ihnen zu sagen, daß wenn Sie in Europa, in Deutschland wirklich das gefunden haben, was Sie ersehnen, Sie nie^vergessen dürfen, daß man sein eigenes Vaterland nicht leicht aufgibt es sei denn unter hohen Bedingungen. Ja, Mister, auf hohe Ansprüche werden Sie gefaßt sein müssen."
„Reden Sie, ich höre", sagte der Amerikaner.
„Ahz°, dachte der Baron, „die Gnädige mpitulirt. Ich bin doch neugierig, was sie verlangt."
, "Sre müssen doch zugeben, Mister", sagte die Dame wieder, „daß d'e Sitten des Landes, welches Sie rühmen, uns Frauen ziemlich verwöhnen. Was jenseits des Oceans liegt, ist uns unbe- rannt. In jungen Jahren macht man solche Reisen leicht, aber in späteren verwachst man mit seiner Heimath. Den europäischen vermißt man nur ungern. Sollte sich hier wirklich eine .^'ishiossenr! sinken, welche Muth besäße Ihnen als ^hre Lebensae-
! n F-we zu folgen, so müssen Sie ihr hinreichende Garantien bieten können."
?Euneir Sie Garantien, Mylady? Ich bin nicht an Meine Unabhängigkeit gestattet mir den Wechsel des Wohnsitzes nach Belieben. Meine Frau braucht, den Ocean
J u .Wir können in Europa bleiben. Eine Villa
om Genfer See im Sommer, eine Loge für Coventgarden im
Winter, das Frühjahr im Bois de Boulogne, in Pasiy oder A8- nitzres bei Paris, im Herbst eine Reise nach Granada oder Sorrent, wie es beliebt. Und wenn sich meine Frau endlich mit dem Gedanken vertraut machen könnte, auch die neue Welt zu sehen — sie würde ihr nicht mindere Annehmlichkeiten bieten, in manchem Punkt vielleicht sogar mehr. Alts unseren Plantagen in Virgmim harren hunderte von Sclaven ihres Befehls, Farbige und Weiße und Schwarze. Ein Pallast in Baltimore und ein; reizende Villa auf der Havana. Schiffe und Pferde, Equipage» und Sänfte« jederzeit zu ihrem Dienste."
„Das Alles läßt sich hören, lieber Mister", sagte die Dame mit süßestem Tone, „aber was wird man in der Welt dazu sagen. Sie haben immer noch einen Hauptpunkt vergessen. Dre große Verschiedenheit des Alters."
„Aha", dachte der Baron, „sie will ihn wohl gar für sich selbst kapern — das ist superb!"
„Verschiedenheit des Alters", erwidkrte Mister Vincent, „wie meinen Sie das? Ich bin höchstens zehn Jahr älter als Miß Angelica — das würde also vortrefflich zusammen passen."
Aus diese Worte trat eine lange, ausdrucksvolle Pause ein.
Dann wurde abermals die Stimme des Amerikaners laut.
„Und Sie lassen mich ohne Antwort, Mylady. Wir soll ich dieß Schweigen deuten?"
Eilt tiefer Seufzer entrang sich dem Busen der Dame, als wenn damit ein ganzer Frühlmg stolzer Hoffnungen zu Grabe getragen wäre. „Ja es ist wahr", sagte sie kleinlaut, „Sie haben das Kind' ausgezeichnet seit Tagen und Wochen, ich hätte es wohl bemerken können, und dennoch kommt mir diese Wendung überraschend. Im Ernst, Mister Vincent, ich muß Sie bitten, auf diese Wünsche zu resigntren. Es sind gewichtige Hindernisse vorhanden."
„Richtig", dachte der Baron, „Sie will ihn abschrecken, um tha für sich zu behalten."
„Hindernisse, Mylady?" rief der Amerikaner, „aus welcher Seite, wenn ich fragen darf? Wäre es die Religion, so nehme ich die Ihrige an."
„Nein, Mister, es 'st nicht die Religion."
„Was sonst, Ätylady —etwa Vermögenssragen? — daS kann kein Hindermß fein. Ich nehme Mß Angelica wie sie geht und steht. Selbst eine Aussteuer wird nicht nöthig sein. Für dergleichen Plunder sorgt Paris."
„Sie sind ein Gentleman, Mister — ich wußte es ja", kam die Antwort zurück, und diesmal mit verstärktem Seufzer, „und wenn das Geständnis; Ihnen von Trost sein kann, so will ich Ihnen bekennen, daß Sie unS außerordentlich gefallen haben vom ersten Augenblick an Ja, Sie wären der Rechte gewesen. für mein Kind, für unsere ganze Familie. Wären Sie nur um einige Monats früher gekommen, so iväre Alles nach Wunsch gegangen. Das Hinderniß mit einem Wort-" hier stockte sie abermals-