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Nachrichtenblatt öer Neichsärztekammer, /lerztekammern Hessen-Nassau unö Kurhessen sowie öer Kassenärztlichen Vereinigung veutschlanüs, Lanüesstellen Hessen-Nassau u. Kurhessen
Verlag Kern & Wiener, Frankfurt am M a i n 17, L u ö w i g st r a ß e 27
Heft Nr. IS postverfanöort: Frankfurt a. M. 9. September 1938
Or. med. August de Bar^, Geschichte der Or.Senckenbergischen Stiftung 1765-1PZ8. Ein Zeugnis des frankfurter Bürgersinns in 175 Zähren.*)
Besprochen von Dr. med. Heinz Lossen.
Was Dr. med. Johann Christian Senckenberg (28. 2. 1707 bis 25. 11. 1772) den Frankfurter Aerzten gewesen ist und bleiben wird, braucht in diesen Blättern heute nicht eigens dargetan zu werden. Welche Stellung er in der Geschichte von 700 Jahren Heilkunde in Frankfurt a. M. ein- nimmt, das hat uns kürzlich der zu früh dahingegangene Bevufskamerad W. Kallmorgen in einem aufschlußreichen Werk ausgezeichnet. Wenn in diesem Buch fast ein Viertel der Beschäftigung mit dem großen Frankfurter Arzt des 18. Jahrhunderts. seiner Stiftung und ihren Auswirkungen galt, so mußte die Darstellung doch skizzenhaft bleiben, da die Aufgabe. die Kallmorgen sich gestellt hatte eine andere war, nämlich die, das ganze ärztliche Geschehen in weit mehr als k'mem halbtausentd von Jahren zu schildern. Gerade aber in diesen Zeiten ungeahnten Umschwungs zu neuen ewigen Zielen tritt die Gestalt Senckcnbergs deutlicher denn je vor uns als Wegweiser und Wegbereiter zu unabhängigem hippokratischem Arzttum im nationalsozialistischen Staatswesen, in dem der Arzt ausschließlich Diener am Volke sein wird.
Aber nicht nur dem Kreise der Fachgenossen ist der Frankfurter Arzt Senckenberg durch sein Arzttum und seine sittlichen Werte verehrungswürdig und ein Vorbild geworden. Diese Grundergenschasten seines Charakters haben ihn sogar bei Lebzeiten, wie Goethe urteilt, zum Spottvögel anlockenden Sonderling gemacht. Vielmehr ist es die Ganzheit seiner naturwissenschaftlichen Anschauungen und Bestrebungen, die ihn in der Heilkunde nur einen Teil der Aeußerungen des Lebens erkennen ließen und daher zu sinnvoller Ergänzung der Beobachtungen auf scheinbar weiter abliegcndcn Gebieten drängten. Neben das Theatrum anatomicum wurden die La- boratorii chhmici gestellt, der Anlegung von Horti medici und anderen mehr gedacht. Es trat betont die Sorge um die Bibliothek hinzu als Mittel zur Unterweisung und Fortbildung. All dies sollte aber letzten Endes der Hauptabsicht des Stifters dienen: in einem Hospital durch ein in seinem Geiste tätiges Collegium medicum, die bessere Gesundheitspflege Frankfurter Einwohner und die Versorgung armer Kranker des Gemeinwesens der Stadt Frankfurt a. M. wahrzunehmen.
Die Zeit, in der man das ärztliche Wissen in philosophische Systeme zu pressen versuchte, stand gerade im 18. Jahrhundert in voller Blüte, als sich schon eine neue Richtung anbahnte, die an Stelle der Spekulation die Tatsache in der Beobachtung wie im Versuche mit dem Endzweck, als Richtschnur ärztlichen Handelns zu dienen, treten ließ. So kam es zur Erschließung neuer naturwissenschaftlicher Forschungsgebiete, deren scheinbar selbständige Kenntnisse doch nicht ohne bestimmenden Einfluß auf ärztliches Wissen bleiben konnten. Ein Zusammengehen — das hatte Senckenberg seiner Zeit weit vorauseilend wohl erkannt —war geboten. So ist es verständlich, daß der Nichtarzt Johann Wolfgang von Goethe, gleichsam von der anderen Seite, wiederholt mehr oder weniger eingehend sich mit dem Werke beschäftigt hat, das „Dr. Senckenberg, gesegneten Andenkens, ausübender Arzt und kenntnisreicher Mann, seiner Vaterstadt hinterlassen" (Annalen 1815, Kunst utib Altertum am Rhein, Main und Neckar, Dichtung und Wahrheit, Wilhelm Meisters Lehrjahre). Nach 175 Jahren gewiß nicht geradliniger und stets aufwärtsgerichteter Entwicklung tragen so heute mit Recht in Frankfurt a. M. nicht nur das Bürgerhospital, das anatomische und pathologische Institut, sondern auch das botanische Institut, das naturwissenschaftliche Museurn, die Bibliothek seinen Namen, und Vereine wie der ärztliche, der physikalische, der.geographische Verein sowie die Gesellschaft für die gesamte Naturkunde werden Senckcnbergs als ihres geistigen Vaters nicht vergessen.
Wenn nun August de Vary uns zu diesem 175. Gedenktage rückschauend Rechenschaft geben wollte über das von der Senckenbergischen Stiftung Geleistete, so konnte niemand berufener dazu sein als er. der derzeitige Vorsitzende der Stiftungsadministration. Gerade heute, zu einer Zeit, in der das Ausrichten ans die neue Zukunft auch verlangt, daß das^ aus der Vergangenheit überkommene prüfend gesichtet wird
*) Brönners Druckerei und Verlag, Inhaber Breidenstein, Frankfurt a. M. 1938. 302 Seiten mit 19 ganzseitigen Bildtafeln. In Ganzleinen gebunden RM. 7.—.